Gewaltschutz und Geflüchtete mit besonderen Bedarfen in Thüringen

Wir leben in bewegten Zeiten! Der Corona-Virus bestimmt derzeit das Leben in fast allen Bereichen. Bisher Alltägliches ist nicht mehr möglich, Anderes wird plötzlich machbar. So schade es ist, dass die geplante Tagung nicht stattfinden konnte, so schön ist es, dass dadurch diese Publikation zu dem enorm wichtigen Thema „Gewaltschutz und Geflüchtete mit besonderen Schutzbedarfen“ entstanden ist. Denn auch dieses Thema wird durch Corona noch wichtiger als es ohnehin schon ist!

Wir haben erlebt, was alles möglich und machbar ist, wenn politische Entscheider dies wollen. Etliches was vor einigen Wochen und Monaten noch undenkbar gewesen wäre, wurde von heute auf morgen umgesetzt. Leider betraf dies nicht die notwendigen Verbesserungen im Bereich der Unterbringung für Geflüchtete. Aus meiner Sicht sind Wohnungen, die einzige Unterbringungsmöglichkeit, die echte Teilhabe und Integration ermöglichen. Dies fängt beim Schutz der Privatsphäre an, geht über den Kontakt mit einheimischen Nachbarinnen und Nachbarn bis zu Platz und Ruhe zum Lernen. Und es betrifft auch den Gewaltschutz. In Gemeinschaftsunterkünften mit oft mehreren - sich meist einander fremden – Personen in einem Zimmer, gemeinsamen Sanitäreinrichtung und Küchen für eine noch höhere Anzahl an Personen ist die Umsetzung eines sehr guten Gewaltschutzkonzepts notwendig. Fast gar nicht umsetzbar sind unter solchen Bedingungen Hygienevorschriften und Abstandsregelungen. Die beengte Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften in Zeiten von Corona gefährdet Menschenleben!

Von der allgemein schwierigen Lebenssituation in Gemeinschaftsunterkünften noch stärker betroffen sind besonders Schutzbedürftige, wie Kinder und Jugendliche, Menschen mit Behinderung, ältere Menschen, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, Opfer von Menschenhandel, körperlich oder psychisch erkrankte Personen und Personen, die Folter oder Gewalt erlitten haben. Diese müssen nach EU-Richtlinien identifiziert und besonders geschützt werden. Mit dem Integrationskonzept des Freistaats Thüringen hat sich die Landesregierung dies zum Ziel gesetzt: „Eine Identifizierung besonders Schutzbedürftiger soll möglichst früh nach der Ankunft stattfinden, um belasteten oder traumatisierten Geflüchteten schnell die erforderlichen Unterstützungs- und Behandlungsangebote zukommen zu lassen. Hierfür wird die Landesregierung ein Konzept erarbeiten und ein bedarfsgerechtes Beratungsangebot in Erstaufnahmeeinrichtungen einrichten“.

Ich danke all denen ganz herzlich, die sich tagtäglich für Gewaltschutz und besonders Schutzbedürftige in Thüringen einsetzen! Bitte führen Sie ihre Arbeit genauso engagiert wie bisher weiter. Zusammen werden wir unserem Ziel näherkommen, für alle ein Leben ohne Angst vor Gewalt, aber mit Chancen auf echte Teilhabe und Integration zu ermöglichen.

Mirjam Kruppa

Beauftragte für Integration, Migration und Flüchtlinge des Freistaat Thüringen

Erfurt, Juni 2020

Logo der Thüringer Beauftragten für Integration, Migration und Flüchtlinge

Geflüchtete Frauen mit besonderen Schutzbedarfen bilden vielfältigste Lebenslagen und sich daraus herleitende besondere Schutzbedürfnisse ab. Hierzu zählen unbegleitete minderjährige Mädchen, schwangere Frauen, Alleinreisende Frauen, Frauen mit schweren psychischen oder physischen Erkrankungen, alte Frauen, LSBTTIQ Frauen sowie Frauen die Opfer von sexualisierter oder anderen Formen von Gewalt geworden sind.

Geschlechtsspezifische Flucht- und Asylgründe wie Zwangsheirat, Female Genitale Mutilation (FGM), Vergewaltigung oder häusliche Gewalt werden oft noch zu wenig erfasst und berücksichtigt.

Der ausführliche Beitrag:

Geflüchtete Frauen mit besonderen Schutzbedürfnissen

Das Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz wurde zur Umsetzung der EU-Vorgaben zur Versorgung von Geflüchteten mit besonderen Bedarfen und der Implementierung von Gewaltschutzkonzepten in seinem Verantwortungsbereich, also der Erstaufnahmeeinrichtung(en) befragt.

/sites/fluechtlingsrat/files/pdf/Besondere_Schutzbeduerftigkeit/20200616_TMMJV_Th_Maier_Fragen_zum_Gewaltschutz_und_Erkennung_besondere_Bedarfe.pdf

Frauen und Mädchen sind bei ihrer Ankunft in Deutschland oft stark belastet oder traumatisiert und somit besonders vulnerabel. Ein frühzeitiges Erkennen und angemessenes Umgehen mit dieser Vulnerabilität ist von größter Bedeutung, um bereits während des Asylverfahrens richtige Maßnahmen bezüglich Unterkunft, Beratung und Versorgung der Betroffenen einleiten zu können. Eine unangemessene Unterbringung innerhalb von Gemeinschaftsunterkünften kann sonst durch neue Gewalterfahrungen zur Verschlimmerung der Situation geflüchteter Frauen mit besonderen Schutzbedürfnissen führen.

In Bearbeitung...

Das Interview spiegelt Erfahrungen als Beraterin in der Schwangerschaftsberatung Erfurt sowie als Koordinatorin des bundesweiten pro familia Modellprojektes „Fachdialognetz für schwangere, geflüchtete Frauen“ am Standort Erfurt mit Laufzeit Mai 2017 bis April 2019 wieder. Weitere umfangreiche Informationen zum Thema finden Sie insbesondere auf der Webseite:

www.fachdialognetz.de

Interview zu den Erfahrungen von pro Familia

Die EU-Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels bezieht sich auf folgende Ausbeutungsformen: Ausnutzung der Prostitution oder anderer Formen sexueller Ausbeutung, Zwangsarbeit oder erzwungene Dienstleistungen – einschließlich Betteltätigkeiten – Sklaverei, Leibeigenschaft, die Ausnutzung strafbarer Handlungen und Menschenhandel zum Zwecke der Organentnahme. Somit haben auch die Bundesländer die Verpflichtung, Maßnahmen zur Umsetzung der Strafverfolgung und zum Schutz der Betroffenen von Menschenhandel umzusetzen. Thüringen war lange Zeit das einzige Bundesland ohne eine Fachberatungsstelle gegen Menschenhandel. Derzeit befindet sich eine solche Beratungsstelle bei REFUGIO Thüringen im Aufbau.

Beitrag Fachberatungsstelle refugio

Von den in der EU-Aufnahmerichtlinie sowie der Thür GUSVO definierten Gruppen von Geflüchteten mit besonderen Schutzbedürfnissen im und während des Asylverfahrens, sind die in Folge der Erkennung in psychosozialen Zentren betreuten Personen oft am schwierigsten frühzeitig zu erkennen. Anders als bei alten Menschen, Schwangeren, Alleinreisenden Frauen, (unbegleiteten) Minderjährigen wo die Identifizierung offensichtlicher ist, muss dem frühen Erkennen psychisch stark belasteter oder traumatisierter Asylsuchender stärkere Aufmerksamkeit gewidmet werden.
Die zentrale Stellung psychosozialer Zentren für die Versorgung besonders Schutzbedürftiger ergibt sich zudem daraus, dass viele geflüchtete Menschen mit den unterschiedlichsten primären Schutzbedürfnissen zudem traumatisierende Erfahrungen gemacht haben.

Interview mit refugio Thüringen e.V.