Bezahlkarte
Informationen rund um Bezahlkarte sowie Unterstützungsmöglichkeiten vor Ort
In allen Thüringer Landkreisen sowie der Stadt Gera wurden 2023 / 2024 „Bezahlkarten“ für Geflüchtete eingeführt. Die Ausgestaltung ist sehr unterschiedlich. Bezahlkarten führen zu massiven Einschränkungen bei der sozialen Teilhabe von Geflüchteten. Deswegen sprechen Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen auch von einer „Diskriminierungskarte“. Das Bundesland Thüringen plant, sich an der bundeslandübergreifenden Einführung der Bezahlkarte über die Firma Publ°k für die Socialcard 2025 zu beteiligen.
Wir haben eine Übersicht zur Praxis der Bezahlkarte in den Thüringer Landkreisen und kreisfreien Städten erstellt. Vorausgegangen war eine schriftliche und telefonische Umfrage bei den zuständigen Ämter und Behörden. Die Recherche zeigt große Unterschiede und teilweise drastische Einschränkungen bei der Benutzung der Karte. So variieren etwa die verfügbare monatliche Bargeldhöhe und die möglichen Gebietsbeschränkungen enorm. Die uns vorliegenden Informationen haben wir in einer Tabelle zusammengefasst. Korrekturhinweise bitte per E-Mail senden.
- Orientierungshilfe zur Gebietsbeschränkung: Übersicht der Postleizahlen in Deutschland (Karte)
Die Recherche wurde im Rahmen des Projektes BeQu realisiert.
Einige Kommunen in Deutschland stehen der Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete kritisch gegenüber oder lehnen sie ab. Sie sehen in der Bezahlkarte keine Verbesserung, sondern vielmehr eine zusätzliche bürokratische Belastung und Einschränkung der Rechte der Betroffenen. Beispiele wie Münster, Braunschweig, Aachen oder Potsdam zeigen, dass alternative Modelle der Leistungsauszahlung praktikabel sind und weniger diskriminieren.
- Musterantrag an die Kommunen/ Kreistage
- Stadtratsantrag Münster - hat Einführung der Bezahlkarte abgelehnt
- Stadt Aachen sagt "nein" zur Bezahlkarte für Geflüchtete
Rechtsprechung
- Überblick Stand Oktober 2024 im BLEIBdran+ Magazin 03/2024
- Gesellschaft für Freiheitsrechte: FAQ zur Bezahlkarte und „Mit der Bezahlkarte unter das Existenzminimum“
- Newsletter Rechtsanwalt Volker Gerloff 12/2024, 10/2024 sowie 09/2024
Stellungnahmen/Studien
- DIW-Studie 49 (2024): Geflüchtete senden seltener Geld ins Ausland als andere Migrant:innen
- Pro Asyl: So läuft das nicht: Die lange Liste der Probleme mit der Bezahlkarte
- Konferenz der Datenschutzaufsichtsbehörden der Länder und des Bundes: Datenschutzrechtliche Grenzen des Einsatzes von Bezahlkarten zur Leistungsgewährung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)
- netzpolitik.org e.V.: Bezahlkarten: Die Probleme hören nicht mit der Vergabe auf
- Jakobin-Magazin: Wie Visa und Mastercard mit der Bezahlkarte Geld machen (Interview mit dem Ministerialrat i.R. Michael Findeisen
- Julian Seidl: Bar oder mit Karte?
- DeZIM (Herbert Brücker): Wissenschaftliche Einschätzung der Bezahlkarte für Geflüchtete
- Frag den Staat: Alles für eine Karte
- Landesarmutskonferenz Niedersachsen (LAK) Landesarmutskonferenz kritisiert diskriminierende Bezahlkarte für Schutzsuchende (13.12.2024)
- Institut für Finanzdienstleistungen e.V., Hamburg: „Die Bezahlkarte für Geflüchtete. Ein Lehrstück, wie man finanzielle Inklusion verhindert und rechtspopulistische Narrative bedient.“
Der Flüchtlingsrat Thüringen e.V. lehnt die Bezahlkarte für Geflüchtete entschieden ab und setzt sich für eine diskriminierungsfreie Auszahlung von Sozialleistungen ein. Die Einführung der Bezahlkarte begann im Dezember 2023 in den Landkreisen Greiz und Eichsfeld und hat sich mittlerweile auf alle Landkreise Thüringens sowie die kreisfreie Stadt Gera ausgeweitet. Dieses Modell ist geprägt von Symbolpolitik und einem Mangel an Fakten und zeigt, dass diese Form der Leistungsausgabe nicht nur die Rechte der Betroffenen einschränkt, sondern auch ihre Lebensrealität erschwert und Lebensqualität mindert.
In zahlreichen Presseanfragen und öffentlichen Veranstaltungen hat der Flüchtlingsrat betont, dass Sozialleistungen zur Sicherung des Existenzminimums uneingeschränkt ausgezahlt werden müssen. Eine diskriminierungsfreie Bezahlkarte müsste die uneingeschränkte Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr ermöglichen, keine örtlichen Begrenzungen oder Einschränkungen bei Waren und Dienstleistungen enthalten und den Datenschutz umfassend gewährleisten.
Die bisherigen Erfahrungen aus Thüringen zeigen jedoch, dass diese Voraussetzungen in keinem Landkreis erfüllt sind. Viele Betroffene berichten von Hürden, wie einem Bargeldlimit von 50 Euro, das nicht ausreicht, um grundlegende Bedürfnisse abzudecken. Hinzu kommen technische und bürokratische Herausforderungen, die den Alltag der Geflüchteten weiter erschweren und den Verwaltungsaufwand der Behörden erhöhen.
Der Flüchtlingsrat Thüringen fordert daher die vollständige Abschaffung diskriminierender Bezahlkarten zugunsten einer unbürokratischen und fairen Auszahlung von Sozialleistungen.
Tauschstellen
Die Gutscheintauschstellen sind Orte, an denen solidarische Menschen Einkaufsgutscheine (z. B. von Rewe, Aldi oder dm) gegen ihr Bargeld tauschen können, um Geflüchtete, die mit einer diskriminierenden Bezahlkarte leben müssen, mit Bargeld zu unterstützen. Aktuell gibt es folgende Tauschstellen in Thüringen:
- Universal Drogerie (Webergasse 25, 99084 Erfurt)
- Café Nilo’s (Kreuzgasse 3, 99084 Erfurt)
- CT Späti Ost (Karl-Liebknecht-Str. 12, 07749 Jena)
- CT Späti Süd (Westbahnhofstr. 4, 07745 Jena)
- Kulturzentrum „Siebenhitze Greiz“ (Siebenhitze 51, 07973 Greiz)
Organisiert werden die Tauschaktionen von der Seebrücke Erfurt, der Seebrücke Jena, dem Geflüchteten-Netzwerk "Tahqiq" sowie dem Aktionsbündnis Kolibri Greiz.
Wie funktioniert die Tauschaktion?
Das System basiert auf dem Tausch von Einkaufsgutscheinen großer Einkaufsmärkte wie Rewe, Aldi, dm oder Rossmann. Zunächst kaufen Asylbewerber:innen mit ihrer Bezahlkarte einen Gutschein im Wert von 50 Euro in einer dieser Märkte. Anschließend geben sie den Gutschein in einer der Tauschstellen ab, die auf der Webseite aufgelistet sind. Dort nehmen solidarische Menschen mit freiem Zugang zu Bargeld den Gutschein mit und hinterlassen dafür 50 Euro in bar. Dieses Bargeld wird dann an die Asylbewerber:innen zurückgegeben. Keine:r der Tauschenden verliert also an Geldwert. Auf diese Weise können Betroffene die Einschränkungen der Bezahlkarte umgehen und haben mehr wirtschaftliche Freiheit im Alltag.
Sind die Tauschaktionen rechtswidrig?
Rechtswidrig ist die Bezahlkarte – nicht eure Solidarität. Die Aktionen sind die notwendige Antwort auf eine verfehlte und mutmaßlich verfassungswidrige Politik. Auch die Staatsanwaltschaften München und Regensburg sowie die Finanzaufsicht BaFin sehen in den Tauschaktionen keinen Straftatbestand.