Gewaltschutz
An dieser Stelle geben wir eine Übersicht aktueller Konzepte und Positionen zum Thema „Gewaltschutz in Sammelunterkünften“
Schutzsuchende Menschen müssen auch in Thüringen häufig in Sammelunterkünften („Gemeinschaftsunterkünften“) leben. Die Form der Unterbringung setzt dabei den Rahmen des sozialen Miteinanders. In den meisten Unterkünften normieren Wasch-, Dusch- und Schließzeiten das tägliche Leben. Die besondere Struktur von Sammelunterkünften begünstigt soziale Spannungen und Konflikte. Das Leben auf engem Raum, fehlende Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeiten, Traumatisierungen durch Erlebnisse im Herkunftsland, während der Flucht oder in Deutschland, Sprachbarrieren, fehlende soziale und psychologische Betreuung und das Wegbrechen sozialer Kontakte sind dabei Faktoren, die Schutzsuchende zusätzlich zum Asylverfahrens massiv belasten können.
- Sammelunterkünfte verursachen und begünstigen Konflikte
- die gesonderte Unterbringung von geflüchteten Menschen ermöglicht in der Regel keine Privatsphäre
- Geflüchtete Menschen haben häufig besondere Bedarfe, die sich u.a. aus persönlichen Traumatisierungen und Fluchtgründen ergeben
- den Bedarfen besonders schutzbedürftiger Menschen wird in Sammelunterkünften kaum Rechnung getragen
- es gibt das Recht auf Gewaltschutz
Gewaltschutzkonzepte wirken strukturell (den durch die Sammelunterbringung) bedingten Konflikten und individuellen Gefährdungen entgegen. Gewaltschutz meint dabei weitaus mehr als Konflikte zwischen Bewohner*innen vorzubeugen. So wird auch die besondere Schutzbedürftigkeit vieler Menschen (bspw. alleinstehende Frauen, Kinder, wegen Geschlechtsidentität Verfolgte) berücksichtigt. Dazu gehören unter anderem Beschwerdemanagement, Konfliktlösungsstrategien, Rückzugsräume und speziell geschulte Ansprechpartner*innen des Personals. Gewaltschutzkonzepte sind unbedingt notwendig und rechtlich verbindlich gefordert. Dabei basiert das Recht auf eine menschenwürdige Unterbringung und Schutz vor Gewalt auf nationalen und internationalen Abkommen sowie deutschem Recht.
Rechtlicher Hintergrund
Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR), die Frauenrechtskonvention (CEDAW-Abkommen), die europäische Richtlinie zur Festlegung von Normen für die Aufnahme, die internationalen Schutz beantragen (EU-Aufnahmerichtlinie) sowie das Grundgesetz sind zu nennen. Daraus leiten sich nicht nur Abwehrrechte der Antragsteller*innen ab. Dem Staat und seinen Organen kommen objektiv-rechtliche Pflichten zu, die sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, das „Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit“, ableiten.
Zusätzlich verlangt die EU-Aufnahmerichtlinie u.a. in Kapitel 4 Art. 21. ff. „die spezielle Situation von schutzbedürftigen Personen […]“ zu berücksichtigen. Weiter heißt es in Art. 22 EU-Aufnahmerichtlinie, „die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass die Unterstützung, die Personen mit besonderen Bedürfnissen bei der Aufnahme nach dieser Richtlinie gewährt wird, ihren Bedürfnissen während der gesamten Dauer des Asylverfahrens Rechnung trägt und ihre Situation in geeigneter Weise verfolgt wird.“ Da die EU-Aufnahmerichtlinie seit dem 20. Juli 2015 geltendes Recht in der BRD darstellt, ist es Aufgabe der staatlichen Organe geschlechtsspezifischer Gewalt in Unterkünften zu verhindern. In Thüringen regelt die Neufassung der Gemeinschaftsunterkunfts- und Sozialbetreuungsverordnung (GUSVO) vom 15. August 2018 erstmals die Berücksichtigung besonderer Schutzbedürftigkeiten und die Implementierung von Gewaltschutzkonzepten bis 01.09.2019 in Thüringer Gemeinschaftsunterkünften.
Handreichungen und Mindeststandards
- Umsetzung der „Mindeststandards zum Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften“ in Kommunen ( Servicestelle Gewaltschutz, Feb. 2024)
- Bundesinitiative Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften, (BMFSF-J) und UNICEF
- Mindeststandards zum Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften 2021, UNICEF (Apr. 2021)
- Leitfaden für die Praxis – LSBTI*-sensibler Gewaltschutz für Geflüchtete, Hrsg.: LSVD Dez. 2020
- FAQ Gewaltschutz und Flucht des Frauen gegen Gewalt e.V. und Frauenhauskorrdinierung e.V. (Aug. 2020)
- Grundrechte für Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften - Eingriffe begrenzen, Einschränkungen verhindern Hrsg: Antidiskriminierungsberatung Brandenburg / Opferperspektive e.V. (Dez. 2018)
- Handbuch zu Schutz- und Spielräumen von Kindern, Save the Children (2018)
- Mindeststandards zum Schutz von Kindern, Jugendlichen und Frauen in Flüchtlingsunterkünften - Initiative vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugendliche (BMFSF-J) und UNICEF (Apr. 2021)
- Checkliste, Mindeststandards zum Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt in Flüchtlingsunterkünften - Unabhängiger Beauftragter für Fragen des sexuellen Kindermissbrauch
- Handreichung für die Betreuung und Unterstützung von LSBTTI*-Flüchtlingen - ASB, LSVD und Parität (Jun. 2016)
- 13-sprachige Broschüre zur „Gleichberechtigung von Menschen unterschiedlichen Geschlechts bzw. verschiedener sexueller Identität“ des LSVD (Mai 2017)
- Effektiver Schutz vor geschlechterspezifischer Gewalt - Deutsches Institut für Menschenrechte (Aug. 2015)
- Arbeitshilfe, Empfehlungen an ein Gewaltschutzkonzept zum Schutz von Frauen und Kindern vor geschlechterspezifischer Gewalt in Gemeinschaftsunterkünften, Hrsg.: Parität (Jul. 2015)
weiterführende Materialien und Konzepte aus der Praxis:
- Suizidprävention in Unterkünften für geflüchtete Menschen, DRK Landesverband Rheinland-Pfalz e.V. (2022)
- Kinderschutz in Notunterkünften für Geflüchtete, Hrsg.: Save the Children e.V. (Apr. 2022)
- Was tun bei Gewaltvorkommnissen in Unterkünften für geflüchtete Menschen?, Dokumentation Seminar Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. (Nov. 2021)
- Gewaltschutz und Geflüchtete mit besonderen Bedarfen in Thüringen (Jun. 2020)
- Living in a box- Psychosoziale Folgen des Lebens in Sammelunterkünften für geflüchtete Kinder, BAfF (Mai 2020)
- Praxisleitfaden zum traumasensiblen und empowernden Umgang mit Geflüchteten der BAfF (Nov. 2018)
- Toolbox des BMFSFJ in Zusammenarbeit mit UNICEF - Sammlung verschiedener Instrumente und Leitfäden (Jun. 2017)
- Positionspapier zum Gewaltschutz von Frauen und Mädchen in Flüchtlingsunterkünften - vom Kölner Flüchtlingsrat e.V. und medica mondiale (Mai 2016)
- Konzept zur Gewaltprävention und zum Gewaltschutz von besonders vulnerablen Gruppen in Unterkünften für Geflüchtete - Büro für Frauen- und Gleichberechtigungsfragen der Universitätsstadt Gießen (Jan. 2016)
- Situation weiblicher Flüchtlinge in Erstaufnahmeeinrichtungen in Thüringen, Stellungnahme des LSVD Thüringen zur öffentlichen Anhörung des Gleichstellungsausschusses des Thüringer Landtags (Dez. 2015)
- Gewaltschutzkonzept zum Schutz von Frauen und Kindern vor geschlechtsspezifischer Gewalt in Gemeinschaftsunterkünften - Träger von Gemeinschaftsunterkünften in Kiel (Mai 2016)
- Literaturliste für das Arbeitsfeld Gewaltschutz und Flucht - Frauenhaus Koordinierung e.V.
- Rahmenkonzept zum Gewaltschutz in Flüchtlingsunterkünften - Diakonie Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz
- Projekt Shelter - bietet E-Learning-Kurse zum Gewaltschutz für Organisationen, die Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrungen betreuen
Die gesammelten Informationen wurden durch das Projekt "Fachstelle Flucht und Asyl" aufbereitet und zur Verfügung gestellt. Das Projekt wurde finanziert aus Mitteln des europäischen Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) und kofinanziert aus Mitteln des Thüringer Ministeriums für Migration, Justiz und Verbraucherschutz (Förderrichtlinie Integration). (07/2018-06/2020)