Berater:innen veröffentlichen strukturelle Mängel in der Erstaufnahme Suhl

Beobachtende Berater:innen

Reinhard Hotop ist behördenunabhängiger Asylverfahrensberater des Evangelischen Migrationsdiensts Südthüringen auf dem Gelände der Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) Suhl. Er und seine Kollegin beraten nicht nur täglich die Anträge der Bewohner:innen, sondern hören ihnen zu, wenn sie von den Zuständen in der Einrichtung erzählen. Gegen die strukturellen Defizite können die Berater:innen nichts unternehmen. Die EAE Suhl wird vom Landesverwaltungsamt betrieben, welches dem Thüringer Innenministerium untersteht. Aber sie können die Zustände sichtbar machen.

Carola Wlodarski ist Projektkoordinatorin des Anonymer Krankenschein Thüringen e.V. Der Verein widmet sich der medizinischen Versorgung von Menschen ohne Krankenversicherung in Thüringen. Das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie (TMASGFF) finanziert das Projekt seit 2016. Grundsätzlich sind Geflüchtete in den Erstaufnahmeeinrichtungen über das Asylbewerberleistungsgesetz in das Regelversorgungssystem integriert. Der Verein sieht allerdings gravierende Mängel in der Umsetzung, kann jedoch aufgrund der Förderrichtlinien nicht selbst zur Verbesserung aktiv werden. In dieser Übersicht werden ihre Beobachtungen zur medizinischen Versorgung sichtbar.

Wir als Flüchtlingsrat ergänzen die Beobachtungen mit Lösungsvorschlägen. 

Die EAE Suhl ist für die Unterbringung von 800 Menschen im Normalbetrieb ausgelegt. Immer wieder werden diese Belegungszahlen oft über mehrere Monate weit überschritten. Gesetzlich ist vorgesehen, dass sie bis zu 18 Monate dort wohnen können. Praktisch verbringen die Ankommenden in Thüringen zwischen mehreren Wochen bis mehreren Monaten in der EAE Suhl. Menschen aus sicheren Herkunftsländern müssen bis zum Abschluss ihres Asylverfahrens in der EAE untergebracht werden.
 

  • Beobachtung: Alleinreisende Frauen und Männer werden in getrennten Häusern untergebracht. Doch die Zimmer und Bäder sind nicht abschließbar. Viele Frauen haben daher nachts Angst und leiden unter Schlafstörungen.
    Lösung: Die bereits installierte Schließanlage am Männerhaus muss in Betrieb genommen werden. In den anderen Häusern müssen Schließanlagen eingebaut werden.
     
  • Beobachtung: Es mangelt an Grundausstattung, vor allem an Nahrungsmitteln, Bettwäsche, Hygieneartikeln, Kleidung und Putzmitteln.
    Lösung: Zwischen der Verwaltung des Landesverwaltungsamtes und der Sozialarbeit, vertreten durch den ASB Regionalverband Südwestthüringen e.V., bedarf es engere Absprachen. Die Essensversorgung könnte verbessert werden, indem das Landesverwaltungsamt die Möglichkeiten der Selbstversorgung ausbaut. Kleidung sollte in angemessener Anzahl und Größen vorbehalten werden – unabhängig von Spenden. In den Wintermonaten sollte Winterkleidung an die Geflüchteten herausgegeben werden. Um die Ausgabe in der Kleiderkammer zu verbessern, könnten Ehrenamtliche mit einbezogen werden.
     
  • Beobachtung: In der Vergangenheit kam es mehrmals zu Ausbrüchen von Infektionskrankheiten durch Schädlingsbefall, wie etwa Krätze.
    Lösung: Die benutzten Matratzen sollten vor dem Einzug eines neuen Bewohners oder einer neuen Bewohnerin gereinigt werden. Die Sanitäranlagen sollten 2x täglich gereinigt werden. Zum Aufsammeln des Mülls auf dem Gelände sollte die Einteilung der Freiwilligen besser koordiniert werden.
     
  • Beobachtung: Durch die andauenden Überbelegungen ist die Anzahl der Sanitäreinrichtungen und Toiletten nicht ausreichend. Dadurch verschmutzen die Anlagen sehr stark.
    Lösung: Die Sanitäranlagen sollten 2x täglich gereinigt werden.
     
  • Beobachtung: Schwangere und Menschen mit Gehbehinderung sowie Mobilitätseinschränkung müssen in den Wohnblocks die Treppen nutzen.
    Lösung: Die Fahrstühle müssen für Menschen mit Einschränkungen zur Nutzung freigegeben werden.
     
  • Beobachtung: Der Zugang zu Kommunikationsmöglichkeiten ist für viele Geflüchtete lebenswichtig. Es gibt (nach Kenntnis der Asylverfahrensberater:innen) in den Wohnbereichen lediglich in den Eingangsbereichen der Wohnblocks offenes W-LAN.
    Lösung: Es sollte ermöglicht werden, an einigen Plätzen mit Heizung und Sitzmöglichkeiten W-LAN-Zugang zu ermöglichen.
     
  • Beobachtung: Die Fenster der Zimmer bieten weder Privatsphäre noch Sonnenschutz. Im Sommer wärmen sich die Räume enorm auf.
    Lösung: Das Anbringen von Jalousien könnte das lösen.
(Angaben des Evangelischen Migrationsdiensts Südthüringen)

 

  • Beobachtung: Immer wieder gibt es problematisches Verhalten einzelner Security-Mitarbeiter. Zuletzt durch rassistische Parolen (MDR-Bericht), aber auch durch Rassismus von arabischstämmigem Sicherheitspersonal gegenüber afghanischen Bewohner:innen. Das verursacht ein Gefühl der Unsicherheit bei den Bewohner:innen.
    Lösung: Das Gewaltschutzkonzept des Landesverwaltungsamtes muss ernst genommen und umgesetzt werden. Das Sicherheitspersonal sollte hinsichtlich Deeskalationsstrategien geschult werden. Personen, deren Länder oder ethnischen Gruppen sich im Krieg gegeneinander befinden, sollten so wenige Räume wie möglich miteinander teilen müssen.
     
  • Beobachtung: Queere Menschen leben unter einem erheblichen Sicherheitsrisiko, dass ihr Aufenthaltsort bekannt wird (durch Nachforschung von Verfolgungspersonen) oder ihre sexuelle Identität im Camp durch dritte Personen öffentlich gemacht wird.
    Lösung: Insbesondere bei Angehörigen sexueller Minderheiten muss der Datenschutz streng eingehalten werden. Hier müssen alle beteiligten Mitarbeitenden nachdrücklich zum Datenschutz verpflichtet werden.
(Angaben des Evangelischen Migrationsdiensts Südthüringen)

 

  • Beobachtung: Mindestens 30 Schwangere in der EAE Suhl erhalten keine Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen (Stand 16.05.2024). Dieser Umstand ist besonders kritisch, da Jugendämter bei nicht erfolgten Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft eine Kinderwohlgefährdung gesehen haben.
    Lösung: Mehr Personal in der ambulanten Versorgung beim medizinischen Dienst auf dem EAE Gelände.
     
  • Beobachtung: Zahlreiche Betroffene leiden unter Zahnschmerzen und Entzündungen. Diese werden in der Regel mit der Gabe leichter Schmerzmittel (Paracetamol) „behandelt“, andere Maßnahmen werden nicht getroffen. Kostenübernahmen für zahnmedizinische Behandlungen werden nicht erteilt.
    Lösung: Mehr Personal in der ambulanten Versorgung beim medizinischen Dienst auf dem EAE Gelände.
(Angaben des Anonymen Krankenschein Thüringen e.V.)

 

  • Beobachtung: Es ist nicht absehbar, wann ein Transfer von der EAE in die Landkreise durchgeführt wird. Manche Bewohner:innen warten Wochen, andere Monate darauf – der Grund dafür ist unklar. Familien oder sich gegenseitig unterstützende Personengruppen werden oft beim Transfer getrennt und unterschiedlichen Landkreisen zugewiesen.
    Lösung: Viele Geflüchtete haben legitime Fragen hinsichtlich ihrer Verteilung in die Landkreise. Es wäre hilfreich, wenn es eine feste Sprechzeit dafür gäbe. Da die Asylverfahrensberater:innen häufig auf Probleme der Verteilung angesprochen werden, brauchen sie einen Ansprechpartner und einen verlässlichen Kommunikationsweg, um die Informationen weiterzugeben.
     
  • Beobachtung: Geflüchtete werden in manchen Fällen vor der Anhörung in einen Landkreis überstellt. Dadurch werden sie daran gehindert, eine vorbereitende Beratung im Asylverfahren in Anspruch zu nehmen. Außerdem erhöhen sich der Verwaltungsaufwand und die Reisekosten.
    Lösung: Wenn ein Transfer vor der Anhörung des Asylverfahrens notwendig ist, muss es eine enge Abstimmung mit dem BAMF geben.
     
  • Beobachtung: Für die freiwillige Rückkehr dauert der Prozess der Antragstellung und Passbeschaffung oft mehrere Wochen. In mehreren Fällen ist eine freiwillige Rückkehr daran gescheitert, dass die Pässe der Bewohner:innen nicht rechtzeitig in der Dienststelle Suhl des Landesverwaltungsamtes aufgefunden wurden.
    Lösung: Es sollten klare Festlegungen vom Landesverwaltungsamt aufgestellt werden, wie mit Menschen umgegangen wird, die eine freiwillige Rückkehr wünschen. Es wäre gut, die Organisationsstruktur der Verwaltung zu überprüfen, damit ein schneller Zugriff auf Dokumente Geflüchteter ermöglicht wird. Hier muss es ebenfalls eine enge Abstimmung mit dem BAMF geben. Zudem soll sichergestellt sein, dass nach einer Meldung des Rückkehrwunsches die Menschen nicht obdachlos werden und weiterhin ein Mindestmaß an finanziellen Mitteln bekommen.
(Angaben des Evangelischen Migrationsdiensts Südthüringen)
  • Beobachtung: In der EAE leisten viele Bewohner:innen freiwillige Arbeit, zum Beispiel in der Küche oder bei der Sauberhaltung der Außenbereiche. Für ihren Einsatz bekommen sie 0,80 Euro je Stunde. In mehreren Fällen ist es vorgekommen, dass die Menschen transferiert wurden, ohne die Auszahlung des Entgeltes. Das führt zu Verunsicherung und reduziert die Bereitschaft zu freiwilliger Arbeit.
    Lösung: Transparentes und zuverlässiges Auszahlungsverfahren für geleistete Arbeitsstunden, ggf. in Kooperation mit den Gemeinschaftsunterkünften in den Landkreisen nach dem Transfer der Bewohner:innen.
(Angaben des Evangelischen Migrationsdiensts Südthüringen)

 

Stand: 11.07.2024

 

V.i.S.d.P.
Reinhard Hotop
Evangelischer Migrationsdienst Südthüringen
behördenunabhängige Asylverfahrensberatung in der Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl
Weidbergstaße 24-26
98527 Suhl

 

Archiv (ab 2020)

12. Dezember 2023: Angekommen? Jawad kommt zu Wort
28. März 2023: Flüchtlingsrat mahnt Verbesserungen für Geflüchtete durch Landesamt für Migration an
1. Februar 2023: Vorfall mit Sicherheitsdienst am 22.10.2021 in EAE Suhl
7. Dezember 2022: Erstaufnahme für Geflüchtete in Suhl entlasten – Jugendherbergen nutzen
24. November 2022: Erstaufnahmeeinrichtung Suhl: Es braucht wirksame Konsequenzen und kein Abtreten der Verantwortung an Beratungsstellen
13. Mai 2022: Nach wiederholten Angriffen von Security-Dienst-Mitarbeitern auf Schutzsuchende in der Erstaufnahmeein-richtung in Suhl fordern ezra, Lager-Watch Thüringen und der Flüchtlingsrat Thüringen e.V. Konsequenzen
5. Mai 2022: Europäischer Protesttag für Menschen mit Behinderung: Versorgung von geflüchteten Menschen mit Behinderung in Thüringen ist miserabel!
27. April 2022: Flüchtlingsaufnahme in Thüringen braucht dringend eine Neustrukturierung
16. November 2021: Skandalöser Umgang einzelner Securitys der Erstaufnahmeeinrichtung Suhl
15. November 2021: Flüchtlingsrat Thüringen e.V., Seebrücke Jena und Erfurt, Lager-Watch Thüringen und Refugee Law Clinic Jena: Würdevolle Lebensbedingungen bei der Erstaufnahme schaffen statt rassistischer Stimmungsmache!
2. Juni 2021: Die Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete braucht eine sachliche und differenzierte Kritik und keine Stimmungsmache gegen die Bewohner:innen
26. März 2020: Menschen sind in Sammelunterkünften einem enorm hohen Infektionsrisiko ausgesetzt
25. März 2020: Polizei Suhl liefert mit Falschmeldung Grundlage für Hetze gegen Geflüchtete
1. Oktober 2020: Erschütternde Vorgänge in der Erstaufnahmeeinrichtung Suhl