Kaum ein Tag ohne Meldungen über Tote und Verletzte – Abschiebungsmaschinerie läuft ungerührt weiter
Angesichts der bevorstehenden Präsidentschaftswahl und der militärisch und politisch völlig volatilen Lage im Land fordern PRO ASYL und die landesweiten Flüchtlingsräte einen Stopp der Abschiebungen nach Afghanistan.
»Innenpolitisches Wunschdenken ist mit der brutalen Realität in Afghanistan nicht in Einklang zu bringen. Auch die Innenminister der Länder müssen sich dieser Realität stellen und die Politik der verschlossenen Augen beenden. Afghanistan ist nicht sicher«, sagt Günter Burkhardt anlässlich des bundesweiten Tags des Flüchtlings am 27. September. Der Tag des Flüchtlings 2019 steht unter dem Motto »Menschen und Rechte sind unteilbar« und findet im Rahmen der Interkulturellen Woche statt.
Auch zahlreiche Politiker*innen aus Bund, Länder und Kommunen werben gerade in dieser Zeit für Weltoffenheit, Akzeptanz und Integration. Gleichzeitig läuft die Abschiebungsmaschinerie nach Afghanistan ungerührt weiter. Der Bayerische Flüchtlingsrat beispielsweise beklagt eine immer härtere Gangart:
»Bayern sorgt mit zahlreichen Kandidaten dafür, dass die Abschiebemaschinerie nach Kabul weiterlaufen kann. Zivilgesellschaftliche Proteste führen oft dazu, dass eine Person hierbleiben darf, von Innenministers Gnaden. Andere, genauso gut Integrierte landen hingegen in Kabul. Das ist keine Humanität, sondern durch feudale Gönnerhaftigkeit schlecht kaschierte Härte. Bayerns Haltung unterstreicht den ganzen Zynismus, mit dem junge Menschen in eine lebensbedrohliche und für viele ausweglose Situation geschickt werden. Oftmals finden die Verhaftungen am Tag selbst statt, sodass hier keine Intervention mehr möglich ist. Erst im August wurde uns die Abschiebung von zwei gut integrierten Afghanen bekannt, die hier eine Ausbildungsperspektive gehabt hätten. Beide sind nun aber in Kabul«.
Die Flüchtlingsräte und PRO ASYL fordern, dass das Thema nun erneut bei den Innenministern der Länder als auch bei den Sondierungsgesprächen in Brandenburg und Sachsen auf den Tisch kommt. »Kaum ein Tag in Afghanistan vergeht ohne Meldungen über Angriffe und Anschlage mit Dutzenden von Opfern – und hierzulande werden Monat für Monat Sammelabschiebungen nach Kabul durchgesetzt, koste es, was es wolle«, kritisiert Burkhardt. Im September ist die Lage im Land völlig eskaliert; es dürfte schwierig werden, Bundespolizist*innen für einen Flieger in ein Kriegsgebiet abzustellen.
Kurz vor der Präsidentschaftswahl am morgigen Samstag versinkt Afghanistan im Chaos. Die Friedensverhandlungen sind ausgesetzt; die Kriegsparteien gehen massiv gegeneinander vor, auf die Zivilbevölkerung wird keinerlei Rücksicht genommen. Bei blutigen Anschlägen und Angriffen in zahlreichen Provinzen kamen binnen weniger Tage Dutzende Menschen ums Leben oder wurden verletzt:
- bei einem Angriff der afghanischen Armee auf Verstecke der Taliban in der Provinz Helmand gab es mindestens 35 Tote und zahlreiche Verletzte – darunter auch Zivilist*innen
- Dutzende weitere Opfer gab es bei einem Anschlag der Taliban in der Nähe eines Krankenhauses im Süden des Landes
- bei gleich zwei Anschlägen der Taliban auf Wahlkampfveranstaltungen in Kabul und der Provinz Parwan kamen rund 50 Menschen ums Leben, viele weitere wurden verletzt
Seit Jahresbeginn (Stand 5. September) wurden laut UN innerhalb des Landes mehr als 262.000 Menschen neu in die Flucht geschlagen, in 30 von 34 Provinzen fand Binnenflucht aufgrund von Gewalt und Konflikten statt. UNOCHA berichtet zudem von einer extrem schweren Versorgungslage für die Zivilbevölkerung, die sich durch gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen den unterschiedlichen Kriegsakteuren noch weiter verschärft.