1. Juni 2024
Kinderrechte gelten für alle gleich!

Flüchtlingsrat Thüringen e.V., der Kinderschutzbund Thüringen e.V. und refugio thüringen e.V. fordern ein Ende von Standardabsenkungen in der Jugendhilfe für unbegleitete minderjährige Geflüchtete

Anlässlich des Internationalen Kindertages am 01. Juni kritisieren der Flüchtlingsrat Thüringen e.V., der Kinderschutzbund Landesverband Thüringen e.V. und refugio thüringen e.V. die Thüringer Situation von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten (UMF), deren Rechte derzeit, trotz ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit, akut eingeschränkt werden.

In Thüringen leben aktuell knapp 730 unbegleitete geflüchtete Kinder, Jugendliche und Heranwachsende. Im September 2023 wurden die Jugendhilfestandards für neu einreisende UMF herabgesetzt.  Thüringer Jugendämter dürfen Jugendliche ab 14 Jahren seitdem in neu geschaffenen, so genannten „Übergangs- und Notlösungen“ unterbringen. Begründet wird dies mit der gestiegenen Zahl von jungen Geflüchteten, fehlenden Strukturen und Fachkräftemangel in der Kinder- und Jugendhilfe. Dabei haben unbegleitete Minderjährige den gleichen Anspruch auf Betreuung, Versorgung und Förderung nach dem Kinder- und Jugendhilferecht im SGB VIII wie alle anderen Kinder und Jugendlichen.

77 unbegleitete Minderjährige wurden nach Aussage des zuständigen Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport unter herabgesetzten Qualitätsstandards in Internaten, Freizeitzentren und ähnlichen Einrichtungen betreut. Das geht aus der Antwort einer Kleinen Anfrage im Thüringer Landtag vom 28.05.2024 zum Stichtag 31.01.2024 hervor. Zum Stichtag 01.03.2024 meldeten zehn Jugendämter zudem die Unterbringung von UMF in so genannten Gemeinschaftsunterkünften für erwachsene Geflüchtete. Eine Betreuung in diesen SGB-VIII-fremden Unterkünften findet hier laut Antwort der Kleinen Anfrage meist ambulant, also stundenweise vor Ort durch Mitarbeitende der Jugendämter, durch freie Träger und durch Sozialbetreuer:innen in den Gemeinschaftsunterkünften statt.

Carsten Nöthling, Geschäftsführer des Kinderschutzbund Landesverband Thüringen e.V.: „Wir wissen um die Problematik des Fachkräftemangels in der Kinder- und Jugendhilfe. Das darf jedoch nicht der Grund sein, die Kinderrechte auszusetzen. Eine Notunterbringung darf nur befristet stattfinden! Die dauerhafte Unterbringung ohne Berücksichtigung der Standards der Jugendhilfe verletzt das Kindeswohl der unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten.“

Dabei brauchen unbegleitete Minderjährige mit Fluchtgeschichte ganz besonders die Unterstützung der Jugendhilfe. Denn nicht nur aufgrund ihres Alters sind sie besonders vulnerabel. Die neu ankommenden geflüchteten Jugendlichen müssen sich allein, ohne Eltern im neuen Umfeld orientieren. Sie haben Krieg, Gewalt, Verfolgung, Elend, Inhaftierung und Ausbeutung erlebt, in deren Folge sie oft an Traumata leiden. Nach einer meist gefahrvollen Flucht kommen sie in Deutschland an und brauchen daher ganz besonders die Unterstützung der Jugendhilfe, um zur Ruhe zu kommen, Erlebtes verarbeiten und erste Perspektiven für sich selbst entwickeln zu können. In dem Prozess beherrschen sie zudem meist noch nicht die deutsche Sprache und haben noch keinen Zugang zu Schule oder Sprachkursen.

Mit den Standardabsenkungen wird ihnen ein niedrigerer Bedarf an Leistungen und Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe unterstellt als anderen Gleichaltrigen. Diese Diskriminierung der jungen geflüchteten Menschen ist nicht hinnehmbar und unvereinbar mit ihrem Recht auf Gleichbehandlung aus der UN-Kinderrechtskonvention und dem Grundgesetz. Sie liefert zudem eine Vorlage, auch in anderen Bereichen der Kinder- und Jugendhilfe Standards herabzusetzen.

Christine Müller, Geschäftsführerin des refugio thüringen e.V.: „Auch für geflüchtete Kinder und Jugendliche gelten die Rechte des Kinder- und Jugendhilfegesetzes und damit auch auf ein Höchstmaß an Gesundheit. Insbesondere bei unbegleiteten Minderjährigen muss sichergestellt sein, dass Belastungen von den Jugendämtern und Fachkräften frühzeitig erkannt und berücksichtigt werden. Gemeinschafts- und Sammelunterkünfte für Erwachsene sind dabei keine geeigneten Orte für Kinder und Jugendliche. Weder für die Wahrung ihrer Rechte noch für ein Höchstmaß an Gesundheit.“

Antje-C. Büchner, Referentin des Flüchtlingsrat Thüringen e.V.: „Die aktuelle Situation der Standardabsenkungen in der Unterbringung und Versorgung von UMF bundesweit ist ein sozialpolitisches Versagen und ein Rückschritt in der Anerkennung und Umsetzung der Rechte von Kindern. Herabgesetzte Qualitätsstandards unterhalb oder gar außerhalb der Jugendhilfe belasten grundsätzlich die jungen Menschen, aber auch die Fachkräfte, welche unter diesen Bedingungen (noch) bereit sind, zu arbeiten. Standardabsenkungen für eine bestimmte Gruppe von Kindern – nämlich die mit dem Merkmal „geflüchtet“ („ausländisch“) – schaffen nicht nur eine Jugendhilfe ‚2. Klasse‘, sondern sind auch Ausdruck von struktureller Diskriminierung. Auf eine Überführung in die geltenden Standards der Jugendhilfe ist jetzt hinzuwirken. Die betroffenen Jugendlichen in Thüringen müssen unverzüglich im vollen Umfang des SGB VIII versorgt werden. Die Unterbringung in Sammelunterkünften für Erwachsene lehnen wir ab.“
 

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