Flüchtlingsrat Thüringen e.V., der Kinderschutzbund Thüringen e.V. und die LAG Kinder- und Jugendschutz Thüringen e.V. fordern: Keine Abschiebungen aus Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen sowie Bildungseinrichtungen
Nachtrag Interview mit Radio Lotte vom 26.01.2020
In der Antwort auf die von Astrid Rothe-Beinlich (Bündnis 90/ Die Grünen) gestellten Kleinen Anfrage im Thüringer Landtag vom 3.1.2020 werden neue Informationen zur Abschiebung aus einer Thüringer Jugendhilfeeinrichtung am 18.9.2019 bekannt.*
Danach hat es am Abend der geplanten Abschiebung einen Notarzteinsatz in der Jugendhilfeeinrichtung gegeben, da es den zwei betroffenen 16-jährigen Jugendlichen sehr schlecht ging und sie selbstmordgefährdet waren. Statt die Abschiebung spätestens zu diesem Zeitpunkt sofort abzubrechen, wurde ihnen seitens des Arztes eine Reisefähigkeit attestiert. In der Antwort auf die Kleine Anfrage heißt es: um „eine nachfolgende Eigengefährdung auszuschließen und zugleich den Erfolg der Abschiebmaßnahmen aufgrund zuvor geäußerter Fluchtgedanken nicht zu gefährden“, seien sie mit zur Polizeiwache genommen worden. Sie wurden in diesem Zusammenhang „aufgrund der geäußerten Suizid- und Fluchtgedanken … zur Vermeidung einer Eigengefährdung gefesselt“. (Kleine Anfrage Drucksache 4160)
Aus der Beantwortung der Kleinen Anfrage ergibt sich zudem, dass eine gerichtliche Überprüfung der geplanten Abschiebemaßnahme seitens des Vormundes im Vorfeld nicht eingeleitet wurde. Vorgeworfen wurde den Jungen, einen im Grunde aussichtslosen Asylantrag nicht gestellt zu haben. Beide Jungen hatten jedoch offensichtlich Gründe, nicht freiwillig zu ihren Familien zurückkehren zu wollen. Ob eine Kindeswohlgefährdung bei Rückführung in die Herkunftsfamilie geprüft wurde, ist nicht bekannt. Das Thüringer Landesverwaltungsamt hatte in Abstimmung mit der Ausländerbehörde des Saale-Orla-Kreises die Abschiebung direkt aus der Jugendhilfeeinrichtung geplant.
„Wir sind entsetzt über das beispiellose Vorgehen im Fall der Abschiebung von zwei 16-jährigen Jungen aus einer Thüringer Jugendhilfeeinrichtung im September vergangenen Jahres. In den Umständen der Abschiebung zeigt sich eine völlige Missachtung des Vorrangs des Kindeswohls“, so Ellen Könneker vom Flüchtlingsrat Thüringen.
„Es muss unverzüglich auf allen Ebenen sichergestellt werden, dass sich solch ein Vorgang in Thüringen nicht noch einmal wiederholt. Abschiebungen aus Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen sowie Bildungseinrichtungen darf es in Thüringen nicht noch einmal geben!“, sind sich die drei Verbände einig.
Die Thüringer LAG Kinder- und Jugendschutz unterstreicht, dass minderjährige Geflüchtete unabhängig von ihrem Herkunftsland einem besonderen Schutz unterliegen. Sie sollten weder aus der stationären Jugendhilfe- noch aus Bildungseinrichtungen abgeschoben werden. Das Kindeswohl muss in jedem Fall strikt gewahrt werden. Fesselungen, wie im beschriebenen Fall, sind nicht akzeptabel und widersprechen diesem Grundsatz. Des Weiteren muss sichergestellt werden, dass die Jugendlichen im Herkunftsland tatsächlich an die Erziehungsberechtigten übergeben werden. Das bedeutet, dass in jedem Fall eine persönliche Begleitung und Übergabe der Jugendlichen im Herkunftsland gewährleistet sein muss.
"Dem Kindeswohl muss bei allem staatlichen Handeln, das die Rechte und Interessen von Kindern berührt, vorrangige Bedeutung zu kommen", so Heiko Höttermann, Geschäftsführer der LAG Kinder- und Jugendschutz.
Auch der Kinderschutzbund Thüringen macht deutlich, dass das Kindeswohl an erster Stelle stehen muss. Das gilt grundsätzlich für alle Kinder und Jugendlichen, also auch für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. „Es ist nicht nachzuvollziehen, wie den betroffenen jungen Menschen einerseits seitens des Arztes die Reisetauglichkeit bescheinigt wird und sie andererseits aufgrund drohender Selbstverletzungen aus Gründen des Selbstschutzes seitens der Polizei gefesselt werden“ sagt Carsten Nöthling, Geschäftsführer des Kinderschutzbunds Thüringen. Mit diesem Vorgehen werden die Kinderrechte gemäß der UN-Konvention mit Füßen getreten. Auch für diese jungen Menschen gilt die Menschenwürde. Ganz besonders muss geklärt werden, dass die Erziehungsberechtigten im Herkunftsland Ihre Personensorge gegenüber deren Kindern wahrnehmen.
Bereits die Mitgliederversammlung der Landesarbeitsgemeinschaft Hilfen zur Erziehung hatte sich am 19.11.2019 aufgrund dieses Abschiebefalles ausdrücklich dafür ausgesprochen und das zuständige Migrationsministerium aufgefordert, klar zu regeln, dass Abschiebungen von Kindern und Jugendlichen aus Kindertagesstätten, Schulen, Bildungseinrichtungen und Einrichtungen der Jugendhilfe nicht erfolgen dürfen.