Flüchtlingsrat Thüringen e.V. fordert die Aussetzung von Abschiebungen, verbesserten Zugang zu mehrsprachigen Informationen und die dezentrale Unterbringung insbesondere für vulnerable Personengruppen zu ermöglichen
Der Flüchtlingsrat Thüringen e.V. fordert die Landesregierung auf, als Konsequenz aus der Corona-Pandemie Maßnahmen auch im Flüchtlingsbereich zu ergreifen. „Gerade unter Asylsuchenden ist die Verunsicherung derzeit sehr groß, da die meisten Informationen nur auf Deutsch zugänglich sind. Zudem haben wir weiterhin eine prekäre Unterbringungssituation im Land. Vielerorts sind die Menschen in großen Unterkünften in Mehrbettzimmern unter teilweise besorgniserregenden Bedingungen und ohne Zugang zu Informationen untergebracht.“, erklärt Philipp Millius und fügt hinzu: „In bestimmten Bereichen brauchen wir zudem Rechtssicherheit, was die aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen durch Corona angeht. So müssen alle Abschiebungen offiziell bis auf weiteres ausgesetzt werden.“
Die aus Sicht des Flüchtlingsrates dringendsten Maßnahmen sind:
Abschiebungen aussetzen: Derzeit werden schon einige Abschiebungen wegen der Corona-Pandemie storniert, jedoch wurde bislang kein allgemeiner Abschiebungsstopp erlassen. Aufgrund der völlig unklaren Lage in weiten Teilen der Welt sollten sämtliche Abschiebungen in Herkunftsländer und Überstellungen in andere EU-Länder bis auf weiteres ausgesetzt werden und dies auch offiziell durch einen Erlass geregelt werden, um Rechtsklarheit zu haben.
Duldungen verlängern: Das Land sollte per Erlass klarstellen, dass aufenthaltsrechtliche Papiere und erteilte Arbeitserlaubnisse auch nach Auslaufen weiter gelten sollten. Grundsätzlich sollten die Ausländerbehörden Duldungen mit längerer Laufzeit ausstellen, damit die Menschen nicht mehr so häufig zur Ausländerbehörde müssen. Es sollte geprüft werden, ob bestimmte Verfahren vorübergehend auch auf elektronischem Wege möglich sind, z.B. Arbeitserlaubnisverfahren, Verlängerung von Aufenthaltstiteln oder Duldungen. Fristen zur Identitätsklärung z.B. für die Ausbildungsduldung oder aber auch für die „Duldung für Personen mit ungeklärter Identität“ müssen verlängert werden, da viele Konsulate den Betrieb bereits eingestellt haben und Dokumente daher faktisch nicht beschafft werden können. Sämtliche Kürzungen von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz müssen aufgehoben werden, einerseits wegen jetzt fehlender Kausalität der Nichtmitwirkung bei der Abschiebung, andererseits um dem erhöhten Bedarf an Hygieneartikeln Rechnung zu tragen.
Dezentrale Unterbringung: In Thüringen leben aktuell etwa 5500 Menschen in Lagern und Sammelunterkünften. Beengte Unterkünfte, in denen sich oft mehrere Personen ein Zimmer teilen müssen, sind niemals eine gute Idee, bei der Corona-Pandemie erst recht nicht. Für die Bewohner*innen von Sammelunterkünften bedeutet dies aktuell eine extrem belastende Situation, in denen besonders deeskalierende Strategien im Rahmen von vernünftigen Gewaltschutzkonzepten zwingend erforderlich sind. Das Land muss dringend in Kooperation mit den Kommunen ein Konzept entwickeln, um die Anzahl der Personen in Großunterkünften deutlich zu reduzieren und möglichst viele Menschen dezentral unterzubringen sowie die Folgen einer Quarantäne-Situation wie in der Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl für Schutzsuchende zu vermeiden. Hierzu müssen alle Möglichkeiten bei der Unterbringung genutzt werden, um soziale Abstandsregelungen zu wahren und die gesundheitliche Gefährdung für Bewohner*innen durch das Corona-Virus auf ein Minimum zu reduzieren. Besonders vulnerable Personengruppen, die als Angehörige einer Risikogruppe eingestuft werden, müssen sofort aus den Sammelunterkünften herausgeholt und separat untergebracht werden. Sowohl in der Erstaufnahme als auch in den Kommunen sollten für die Sammelunterkünfte extra Reinigungs- und Desinfektionsmittel für die Unterkünfte zur Verfügung gestellt sowie die Reinigungsfrequenz vor Ort deutlich erhöht werden.
Zugang zu Informationen: Es gibt bislang keine bzw. nur wenige mehrsprachige Informationen zur aktuellen Lage in Thüringen. Die Thüringer Ministerien sollten Hinweise zur aktuellen Situation auch in den wichtigsten Sprachen von Asylsuchenden zur Verfügung stellen. Dies betrifft sowohl Verhaltenshinweisen bei der Corona-Pandemie als auch Informationen zu Abschiebungen, sonstigen Verfahren etc. Der Zugang zu Informationen muss für alle sichergestellt werden. In der Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl und allen anderen Unterkünften muss daher schleunigst der kostenlose Zugang zu Informationen und kostenfreiem Internet ermöglicht werden.
Aufenthaltsrechtliche Konsequenzen: Es ist absehbar, dass sich aufgrund der Corona-Pandemie die wirtschaftliche Lage vieler Betriebe verschlechtern wird. Infolge dessen werden wahrscheinlich auch Menschen ihre Arbeit verlieren. Hiervon sind erfahrungsgemäß überproportional prekäre Beschäftigungsverhältnisse betroffen, die häufig von Menschen mit unsicherem Aufenthalt ausgeübt werden. Gerade bei Regelungen wie der Bleiberechtsregelung oder der neuen Beschäftigungsduldung hängt der Aufenthalt direkt davon ab, dass man den Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit sichert. Hier sollte per Erlass klargestellt werden, dass Unterbrechungen der Lebensunterhaltssicherung infolge der Corona-Pandemie keine negativen aufenthaltsrechtlichen Auswirkungen haben.