Zum Ende des Winterabschiebestopps wendet sich der Flüchtlingsrat Thüringen e.V. in einem offenen Brief an den für Asylfragen zuständigen Minister Dieter Lauinger. Darin fordert der Verein die im Koalitionsvertrag vereinbarte Überprüfung der Abschiebepraxis im Freistaat, zu der bislang keine Ergebnisse vorliegen.
Die Landesregierung vereinbarte die Aussetzung von Abschiebungen bis zum Ende des ersten Quartals 2015, "zur Vermeidung unbilliger Härten", so der Wortlaut im Koalitionsvertrag. "Wir haben große Sorge, dass es ab dem 1. April wieder zu unmenschlichen Abschiebungen kommen wird, ganz ohne, dass die Praxis allgemein in Frage gestellt oder überprüft wurde", so Juliane Kemnitz, Mitarbeiterin des Flüchtlingsrat Thüringen e.V.
Die rot-rot-grüne Regierung hat sich eine menschenrechtsorientierte Flüchtlings- und Integrationspolitik als Ziel gesetzt. "Dem Ziel des Kurswandels in der Flüchtlingspolitik kann die Regierung nur gerecht werden, wenn sie weiterhin alles daran setzt, Abschiebungen von Menschen zu verhindern. Schutzsuchende Menschen brauchen eine Perspektive in Thüringen und nicht die permanente Gefahr, in die Ungewissheit abgeschoben zu werden ", so Kemnitz weiter.
Ein deutliches Signal gegen zwangsweise Ausreisen von Flüchtlingen setzten jüngst engagierte Menschen und betroffene Flüchtlinge in Erfurt. Gemeinsam demonstrierten sie friedlich, zahlreich und erfolgreich gegen geplante Abschiebungen von Geflüchteten.
Offener Brief an Minister Lauinger vom 30.03.2015, Ergebnisse der Überprüfung der Abschiebepraxis in Thüringen:
Sehr geehrter Herr Minister Lauinger,
in Anbetracht des nun zum 31. März auslaufenden „Winterabschiebestopps“ wenden wir uns mit einer eindringlichen Bitte und Forderung an Sie. Die rot-rot-grüne Landesregierung hatte sich im Koalitionsvertrag darauf geeinigt, mit der Aussetzung von Abschiebungen durch die Anwendung des § 60a Auf-enthG die Abschiebepraxis in Thüringen zu überprüfen. Bis zum heutigen Tag sind uns keinerlei Informationen zugegangen, dass diese Überprüfung der Abschiebepraxis tatsächlich stattgefunden hat.
Wir befürchten, dass mit dem Ende des Abschiebestopps am 31. März die entsprechenden Behörden in erhöhtem Maße Abschiebungen und Rücküberstellungen anordnen werden, ohne dass dabei alle aufenthaltsrechtlichen Möglichkeiten in Betracht gezogen werden, um einen Aufenthalt für die betroffenen Personen hier in Thüringen zu ermöglichen. Wir sind der Meinung, dass die bis zu 6-monatige Aussetzung der aufenthaltsbeendigenden Maßnahmen im Rahmen des § 60a AufenthG bis zur tatsächlichen Überprüfung der Abschiebepraxis fortgesetzt werden sollte.
Als ein „Best-practice“-Beispiel betrachten wir bezüglich der Schlussfolgerungen, die aus dieser Überprüfung folgen sollte, den Runderlass des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 23.09.2014. Dieser gibt den Ausländerbehörden rechtliche Hinweise und verfahrensgemäße Vorgaben zur Organisation und Durchführung des Rückführungs- und Rücküberstellungsvollzugs. Zielsetzung dieses Erlasses ist, die Abschiebepraxis des Landes so zu organisieren, dass die zur Ausreise angewiesenen und somit von Abschiebung bedrohten Personen einer möglichst geringen Belastung ausgesetzt werden. Zudem zielt der Erlass darauf ab, dass vor Beendigung des Aufenthaltes alle aufenthaltsrechtlichen Möglichkeiten zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis oder einer Duldung zu prüfen sind. Von den im Erlass festgehaltenen Regelungen und Hinweisen abweichende Handlungen der Behörden müssen entsprechend mit Begründung dokumentiert werden.
Abschiebungstermine sind auf Grundlage dieses Erlasses frühzeitig bekannt zu geben, um den Betroffenen die Möglichkeit zu geben, sich vorbereiten zu können und ggf. rechtlichen Beistand zu suchen. Zudem sind die Behörden verpflichtet, mindestens zweimal auf die Einschaltung der Härtefallkommission hinzuweisen. Die Flüchtlingspolitik im Freistaat sollte im Kontext einer rot-rot-grünen Regierung nicht hinter dieser Regelung zurückbleiben.
Wir fordern Sie daher in Anbetracht des nahenden Endes des Abschiebestopps dazu auf:
- im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten die Aussetzung aufenthaltsbeen-dender Maßnahmen im Sinne des § 60 a AufenthG zu verlängern,
- die Abschiebepraxis des Freistaates unverzüglich wie im Koalitionsvertrag vereinbart zu überprüfen sowie
- als Ergebnis der Überprüfung und nach dem Vorbild des Landes Niedersach-sen den Erlass einer Verordnung vorzunehmen.
Wir appellieren an Sie als zuständigen Minister, sich direkt dieser Problematik anzunehmen, damit die Zielsetzung einer menschenrechtsorientierten Flüchtlings- und Integrationspolitik nicht nur auf dem Papier bestehen bleibt und die Hoffnungen, die viele in der Flüchtlingsarbeit aktive Personen haben, nicht enttäuscht werden.