Offener Brief an den Landrat Henning
In einem Offenen Brief, der Erfahrungsberichte des Umgangs auf der Sömmerdaer Ausländerbehörde eines Flüchtlings, von BeraterInnen und UnterstützerInnen sowie eines Kinderarztes umfasst, wendet sich der Flüchtlingsrat Thüringen e.V. heute an den Sömmerdaer Landrat Herrn Henning:
Offener Brief
Menschenfeindlichkeit und Rassismus: Willkür in der Ausländerbehörde ist seit Langem bekannt – Personelle Konsequenzen gefordert.
Sehr geehrter Herr Henning,
in Ihrer Funktion als Landrat haben Sie sich angesichts des Monitor-Beitrags vom 20.11.2014 zur Arbeitsweise der Sömmedaer Ausländerbehörde in einem Beitrag der Thüringer Allgemeinen überrascht gezeigt. Auch uns als Flüchtlingsrat Thüringen e.V. hat der Beitrag überrascht: In seiner offenen Zur-Schau-Stellung von Menschenfeindlichkeit und Rassismus.
Der Inhalt des Beitrages jedoch dürfte Ihnen nicht unbekannt sein. Wir hatten Ihnen das grobe Fehlverhalten, die unmenschliche und erniedrigende Behandlung durch die Behördenmitarbeiter direkt in einem Schreiben im Nachgang an unsere Veranstaltung „Offener Flüchtlingsrat“ am 28. März 2013 in Sömmerda angezeigt.
In dem Brief erklärten wir: Kritisch wurden allerdings die Erfahrungen zum Umgang mit Flüchtlingen, BeraterInnen und UnterstützerInnen auf der Sömmerdaer Ausländerbehörde bewertet. Bestätigt wurden Berichte, die dem Verein seit langem bekannt sind, dass bei der Ausländerbehörde Entscheidungen sehr restriktiv und zu ungunsten der Betroffenen getroffen, Ermessens- und Handlungsspielräume nicht positiv genutzt, behördliche Entscheidungen nicht transparent gemacht (sondern ggf. mit einem mündlichen „Nein“ abgelehnt werden) und Ehrenamtliche, die als „Beistand“ Flüchtlinge mit zur Behörde begleiten, als „nicht bevollmächtigt“ abgetan werden.“
Die unmenschliche Behandlung durch die Sachbearbeiter Hr. Mielke, Hr. Gräser und Hr. König sowie durch den Amtsleiter Hr. Ritter haben wir seidem in vielfältigen Berichten immer wieder von Flüchtlingen aus dem Landkreis Sömmerda bestätigt bekommen.
In einer Presseerklärung vom 24.11. haben Sie nun erklärt, „Ich habe die beiden Mitarbeiter der Ausländerbehörde hinsichtlich der Monitor-Sendung zur schriftlichen Stellungnahme aufgefordert, sowohl bezüglich der Leistungsgewährung als auch dem erfolgten Gespräch. Ich behalte mir nach Auswertung dieser Stellungnahmen arbeitsrechtliche Schritte vor.“ Wir fordern als Konsequenz des ARD-Beitrags sowie der unten aufgeführten stichprobenartigen Beschreibungen der Willkür durch die vier (!) genannten Mitarbeiter der Ausländerbehörde Sömmerda personelle Konsequenzen. Eine Weiterbeschäftigung der Mitarbeiter in der Arbeit mit Menschen mit Flüchtlingen einerseits und in der öffentlichen Verwaltung andererseits ist nicht mehr haltbar!
Hier finden Sie Tatsachen- und Zeugenberichte:
Khamgin Arif erzählt: „Einmal kam ich zur Ausländerbehörde, um mein Ausweisdokument zu verlängern. Ich klopfte an die Tür von Herrn Mielke. Er kam zur Tür, riss sie auf und schrie mich an `Bleib draußen. Ich sag dir Bescheid, wenn du rein kommen kannst!` Ich habe gewartet. Dann verließ Herr Mielke sein Büro und ging essen. Ich fragte, wie lange ich noch warten muss. Er sagte nur, `Warte, ich sag dir bescheid!` Nach eineinhalb Stunden hat er mir die Gestattung dann verlängert. Ich habe mich wie ein Tier behandelt gefühlt!“
Khamgin Arif, mittlerweile anerkannter Flüchtling aus Syrien, lebte 1,5 Jahre als Asylsuchender im Landkreis Sömmerda
Christiane Brandt erzählt: „2012 erhielten zwei jugendliche Asylsuchende die Möglichkeit eines (dringend notwendigen) 4-wöchigen Intensivkurses in Deutsch, der in Erfurt vom Flüchtlingsrat Thüringen e.V. organisiert wurde und auch finanziell abgesichert war. Eine Freistellung vom Schulunterricht durch die Schulleiterin lag vor, lediglich die Fahrtkostenübernahme war noch nicht geklärt. Ich wand mich an die Ausländerbehörde. Telefonisch teilte mir Herr Ritter mit: ‚Ich muss Ihnen das nicht weiter erklären, Sie sind für mich keine offizielle Vertretung für die Familie M.! In diesem Sinne, auf Wiederhören.‘ Herr Mielke äußerte sich aus seiner Sicht zur Notwendigkeit dieses Kurses: ‚Es liegt noch keine Aufenthaltserlaubnis vor und das ist auch überhaupt nicht in unserem Interesse, dass solche Leute integriert werden.‘“
Christiane Brandt ist Gemeindepädagogin im Pfarrbereich Sömmerda und unterstützt privat Asylsuchende im Landkreis schon seit Jahren u.a. durch Begleitung zu Behörden.
Juliane Kemnitz berichtet aktuell: „In Gesprächen mit Hr. König wurde immer wieder deutlich, dass er schlicht weg falsch berät. So sagte er bspw., dass es für Flüchtlingskinder keinen Rechtsanspruch auf einen KiTa-Platz gäbe, was grundsätzlich falsch ist. Er verhinderte KiTa-Anmeldungen auch mit dem Argument, die Flüchtlingskinder ‚bräuchten den Kindergarten nicht und müssten zurück‘ [in ihr Herkunftsland]. Obwohl Eltern darum baten, wenigstens den Kindern den Deutsch-Spracherwerb und das Kennenlernen anderer Kinder durch den KiTa-Besuch zu ermöglichen, wurde dies u.a. mit dem Argument verneint, die Kinder sollten eher die Sprache des EU-Landes lernen, in welches sie zurückgeschoben werden sollen. Auch verweigerte Herr König die Anmeldung zum Schulbesuch. Er erklärte: ‚die Kinder, von denen wir wissen, dass sie bald zurück müssen, also die aus Serbien oder Mazedonien stammen’, melden wir gar nicht erst in den SChulen an. Da kriegen wir eh nur Ordnungswidrigkeitsverfahren.’
Juline Kemnitz, Flüchtlingsrat Thüringen e.V.
Christiane Götze erinnert sich: „Ich habe im letzten Quartal 2012 mit Herrn Mielke telefoniert. Es ging um die Vorstellung unseres Bleiberechtsprojektes, in welchem Asylsuchende und andere Flüchtlinge beim Zugang zum Arbeitsmarkt vielfältig unterstützt werden. Konkret wollte ich besprechen, dass an unseren Kursen interessierten Flüchtlingen letztlich auch der „Urlaubsschein“ zur Teilnahme in Erfurt erteilt wird. Herr Mielke antwortete: ‚Dies ist nicht sinnvoll, weil die Menschen nicht integriert werden sollen!‘ Als ich weitere Argumente anbrachte, legte er mitten im Gespräch auf. Ich wählte sofort danach wieder seine Durchwahl, doch er nahm den Hörer nicht mehr ab. Ich legte aufgrund dieses unprofessionellen Vorgehens und der rassistischen Äußerungen eine Dienstaufsichtsbeschwerde beim Thüringer Landesverwaltungsamt ein. Geändert hatte sich nichts.“
Christiane Götze ist Koordinatorin des Thüringer Bleiberechtsnetzwerkes „to arrange – pro job“ in Erfurt
Hans-Jochen Dingeldein: „Ich habe vor allem im Jahr 2013 einen Flüchtling, Herrn M., zu Arztbesuchen begleitet, um bei der Verständigung behilflich zu sein. Wiederholte Arztbesuche fanden bei einer Neurologin statt wegen Schmerzen im Bein und im Kopf. Da die Kopfschmerzen neurologisch nicht behandelbar waren, erhielt Herr M. eine Überweisung zu einem Psychiater. Mit dieser Überweisung begleitete ich Herrn M. zur Ausländebehörde wegen der Übernahme der Behandlungskosten. Der zuständige Sachbearbeiter, Herr Gräser, sagte zu Herrn M.: ‚Wenn sie wegen ihrer Sorgen Kopfschmerzen ha-ben, dann gehen sie doch zurück nach Afghanistan!‘ Als ich Herrn Gräser daraufhin Zynismus vorwarf, wies er das zurück und meinte: ‚Das ist doch richtig so. Wenn er hier Sorgen hat, dann muss er nach Hause gehen!‘“
Hans-Jochen Dingeldein, Mitglied der evang.-freikirchlichen Gemeinde, unterstützt Flüchtlinge privat
Kinderarzt Dr. Roland Helbing berichtet: „Die ständige Schikane der Menschen durch die Mitarbeiter der Ausländerbehörde war und ist bis in meine Praxis zu spüren. Immer wieder Telefonate, der Kampf der Flüchtlinge um die Erteilung von Krankenbehandlungsscheinen. Nach meiner Ankündigung, den Landrat zu informieren, bemerkte Herr Ritter: ‚Von mir aus können Sie sich Beim Papst beschweren!‘ Ein Vater war einmal so fertig, er hatte Tränen in den Augen und sagte auf Englisch: ‚Ich bin doch ein Mensch und kein Tier!‘. Tonfall und Diktion erinnerten an die typischen Situationen in der DDR-Zeit; Frustration und Anmaßung waren unverhohlen zu erkennen. Ein Herr Ritter ist keinesfalls tragbar für solch eine Aufgabe. Nachdem ich den Landrat informiert hatte, wurde das Verhalten uns gegenüber etwas besser, aber im Amt selber blieb eine schikanöse Bürokratie. Als früher das Sozialamt die Federführung für die Arztbesuche hatte, gab es niemals Probleme.
Dr. Roland Helbing ist Kinderarzt in Sömmerda und behandelt auch viele Flüchtlings-kinder.
Thea Büchner berichtet: „Über meine Arbeit hatte ich im November 2001 Kontakt zu einem minderjährigen unbegleitenden 14 jährigen Jungen aus Sierra Leone. In Absprache mit der Ausländerbehörde Erfurt, dem Jugendamt Erfurt einschließlich dem Amtsvormund des Jungen erklärte ich mich bereit, den Jungen in unserer Familie in Sömmerda aufzunehmen mit dem späteren Ziel der Adoption. Der Weg führte mich deshalb auch zur Ausländerbehörde in Sömmerda. Zum vereinbarten Termin mit Herrn Ritter stand ich in seinem Büro, setzen durfte und konnte ich mich nirgends. In lautem, unfreundlichem Ton sagte und drohte er mir, dass ich mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen müsse, sollte ich ‚in dieser Angelegenheit‘ weitere Schritte unternehmen. Für mich war klar: er wollte keinen „Ausländer“ zuviel in Sömmerda haben. Nach einer Minute war mein Anliegen also zu Ende ‚bearbeitet‘.“
Thea Büchner arbeitet im Rahmen einer professionellen Erziehungsstelle
als Pflegemutter in Sömmerda
Diese Liste an Eindrücken ließe sich beliebig fortsetzen.
Wir möchten zum Schluss kurz Bezug nehmen auf die Ausführungen zur Unterbringungssituation und der Herkunft der im Monitor-Beitrag zu sehenden Flüchtlinge im Landkreis Sömmerda. Aufgrund der aktuellen Debatte um die desaströsen Zustände in der Ausländerbehörde Sömmerda sollten Fragen eines gelingenden Unterbringungskonzeptes einschließlich einer Erstorientierungshilfe im Landkreis zu einem späteren Zeitpunkt erörtert werden. Wir stehen hier gern als Ansprechpartner zur Verfügung. Weiterhin spielt die Herkunft von Flüchtlingen im Kontext der aktuellen Debatte keine Rolle. Es geht also nicht darum, ob Sie sich als Landkreis zur Aufnahme von eritreischen Flüchtlingen haben „breitschlagen“ lassen. Über viele Jahre hinweg haben Flüchtlinge des Landkreises ungeachtet ihrer Nationalität durch die genannten Mitarbeiter der Ausländerbehörde Sömmerda wiederholt Willkür im Verwaltungshandeln, rassistische Beschimpfungen und unsachliche sowie falsche Beratung ertragen müssen. Es geht nicht nur darum, ob sich der Amtsleiter „im Ton vergriffen“ hat, wie Sie ebenfalls gegenüber der TA erwähnten. Es geht um ein seit Jahren funktionierendes System von Behördenrassismus.
Wir fordern Sie auf: Ziehen Sie die Konsequenzen und helfen Sie, für Flüchtlinge in Ihrem Landkreis einen Ort eines Ankommens in Würde zu ermöglichen.
- Ende des Offenen Briefes-