3. März 2022
EU Ratsbeschluss: Schneller Schutz für Flüchtlinge aus der Ukraine

EU-Kommissarin Ylva Johansson bestätigte, dass heute von den europäischen Innenminister:innen der »vorübergehende Schutz« für Flüchtlinge aus der Ukraine beschlossen wurde. Laut Bundesinnenministerin Nancy Faeser sollen sich Ukrainer*innen das Land in der EU, in dem sie Schutz suchen wollen, selbst aussuchen können.

ProAsyl erklärt zur Anwendung des "vorübergehenden Schutzes":

Wer soll den vorübergehenden Schutz bekommen?

Der Vorschlag der Kommission für einen Ratsbeschluss sieht folgende Gruppen vor, die den vorübergehenden Schutz bekommen sollen:

  • Ukrainische Staatsangehörige, die seit dem 24. Februar 2022 im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine vertrieben wurden (Art. 2 Abs. 1 lit. a Vorschlag Ratsbeschluss). Damit wären Ukrainer*innen, die schon vorher die Ukraine verlassen haben, nicht vom Schutz umfasst. Die Mitgliedstaaten können allerdings eigenständig entscheiden, den Schutz auf Ukrainer*innen auszuweiten, die bereits vor dem 24. Februar 2022 nach Deutschland gekommen sind (Erwägungsgrund 13 Vorschlag Ratsbeschluss). Dies sollte Deutschland dringend tun.
  • Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, die ebenso seit dem 24. Februar 2022 aus der Ukraine fliehen mussten und die nicht in ihre Heimatländer zurück können (Art. 2 Abs. 1 lit. b Vorschlag Ratsbeschluss). Hierzu können in der Ukraine als Flüchtlinge anerkannte Personen gehören oder Personen, die zum Zeit des Angriffs in der Ukraine im Asylverfahren waren. Auch sollten hierzu die letztes Jahr aus Afghanistan Evakuierten gehören. Außerdem sollen auch Drittstaatsangehörige, die einen langfristigen Aufenthalt in der Ukraine hatten, von dem vorübergehenden Schutz umfasst werden.
  • Familienmitglieder von Angehörigen dieser beiden Gruppen, wenn die Familie schon in der Ukraine bestand und unabhängig davon, ob die Angehörigen in ihre Heimatländer zurückkehren könnten (Art. 2 Abs. 1 lit. c Vorschlag Ratsbeschluss). Zur Familie gehören Ehepartner*innen und unverheiratete Paare in langfristiger Beziehung, minderjährige Kinder sowie andere im Haushalt lebende Verwandte, die von der Hauptperson abhängig sind (Art. 2 Abs. 2 Vorschlag).

Damit sind Personen, die nicht unter diese Bestimmungen fallen – laut Kommission zum Beispiel Menschen aus Drittstaaten, die in der Ukraine studiert oder gearbeitet haben und keinen langfristen Aufenthalt dort hatten – nicht umfasst und ihre Situation ist ungeklärt. Die Kommission sieht zwar vor, dass die Einreise ebenso unkompliziert ohne Visa und Pässe erfolgen soll, allerdings nur, um dann direkt in den Heimatstaat auszureisen. Die Bundesregierung sollte dieser Gruppe, die ebenso gerade erst vor aktiven Kampfhandlungen geflohen ist, die Möglichkeit geben, sich zu orientieren und über die nächsten Optionen beraten zu lassen. Hierfür sollte den Menschen von der Bundespolizei ein Ausnahmevisum gemäß § 14 Abs. 2 AufenthG gewährt werden.

Dauer des Aufenthalts 

Nach § 24 Absatz 1 AufenthG wird eine Aufenthaltserlaubnis für die in den Artikeln 4 und 6 der Richtlinie festgelegte Dauer erteilt. Nach diesen Normen beträgt die Dauer des vorübergehenden Schutzes grundsätzlich zunächst ein Jahr. Der Zeitraum verlängert sich anschließend zweimal automatisch um jeweils sechs Monate, sofern der Rat keine vorzeitige Beendigung – die einer Feststellung des Inhalts bedarf, dass eine sichere und dauerhafte Rückkehr möglich ist – beschließt. Die Regeldauer des vorübergehenden Schutzes beträgt so zwei Jahre, sie kann aber um ein weiteres Jahr auf dann insgesamt maximal drei Jahre verlängert werden. Die Aufenthaltserlaubnis ist bei Ausschöpfung der Maximaldauer also jeweils für die genannten Zeiträume – zunächst ein Jahr, dann zweimal jeweils sechs Monate und schließlich ein Jahr – auszustellen bzw. zu verlängern. Abweichend davon ist es auch möglich, die Aufenthaltserlaubnis von vornherein für einen längeren Zeitraum, maximal für die Dauer von drei Jahren, zu erteilen, was sich aus § 26 Absatz 1 AufenthG ergibt. Von dieser Möglichkeit sollte Deutschland Gebrauch machen.

Verteilung auf die und innerhalb der Bundesländer

In Deutschland angekommene Vertriebene werden auf die Bundesländer verteilt. Diese können Kontingente für die Aufnahme zum vorübergehenden Schutz vereinbaren. Sofern eine solche Vereinbarung nicht stattfindet, erfolgt die Verteilung nach dem auch für die Verteilung von Asylbewerber*innen festgelegten Schlüssel (§ 24 Absatz 3 AufenthG). Hierbei handelt es sich um den sogenannten »Königsteiner Schlüssel«, der außer der Größe der Bevölkerung auch die Wirtschaftskraft der Länder berücksichtigt (vergleiche § 45 AsylG). Zuständig für die Durchführung der Verteilung ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

Die interne Verteilung innerhalb des jeweiligen Bundeslandes folgt im Wesentlichen den gleichen Regeln wie jenen für Asylbewerber*innen. Die jeweils zuständige Landesbehörde erlässt die Zuweisungsentscheidung. Wichtig dabei ist, dass bei der Zuweisung die Haushaltsgemeinschaft von Familienangehörigen zu berücksichtigen sind (vergleiche § 24 Abs. 4 AufenthG in Verbindung mit § 50 Abs. 4 AsylG).

Aufgenommene haben keinen Rechtsanspruch darauf, sich in einem bestimmten Land oder an einem bestimmten Ort aufzuhalten, sie müssen ihren Wohnsitz und tatsächlichen Aufenthalt am zugewiesenen Ort nehmen (vergleiche § 24 Absatz 5 AufenthG).

Erwerbstätigkeit

Eine Besonderheit bei Aufenthaltserlaubnissen nach § 24 AufenthG sind die Regeln zur Erwerbstätigkeit, die in Absatz 6 der Norm niedergelegt sind.

Die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit darf danach nicht ausgeschlossen werden. Dies geht auf Artikel 12 der Richtlinie zurück.

Die Ausübung einer unselbständigen Beschäftigung ist mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Abs. 1 AufenthG nicht – wie bei anderen Aufenthaltserlaubnissen (vergleiche § 4a Abs. 1 AufenthG) von vornherein erlaubt, sie kann aber nach § 4a) Abs. 2 AufenthG erlaubt werden. Das dort normierte Ermessen ist auf Grund des Vorrangs des Unionsrechts als Anspruch zu lesen: Da Artikel 12 der Richtlinie auch die Gestattung der Ausübung einer abhängigen Beschäftigung als Anspruch formuliert, muss die Erlaubnis stets erteilt werden. Hierfür bedarf es – wie sich aus § 31 BeschV ergibt – keiner Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit.

Sozialleistungen und sonstige staatliche Leistungen 

Mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG besteht Anspruch auf Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG). Hier könnte und sollte die Bundesregierung nachjustieren, da die Sätze des Asylbewerberleistungsgesetz sehr gering sind.

Ferner besteht auch ein Anspruch auf Kindergeld und andere Familienleistungen, solange eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird oder nach deren Beendigung Arbeitslosengeld I bezogen wird oder Elternzeit genommen wird.

Wenn keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird, besteht ein Anspruch auf Familienleistungen nach 15-monatigem Aufenthalt im Bundesgebiet (§ 62 Absatz 2 Nr. 3 und 4 EStG).

Familiennachzug

Für den Nachzug von Ehegatten und minderjährigen Kindern werden Inhaber*innen von Aufenthaltserlaubnissen nach § 24 Absatz 1 AufenthG nach § 29 Absatz 4 AufenthG begünstigt, wenn die familiäre Lebensgemeinschaft im Herkunftsland durch die Fluchtsituation aufgehoben wurde und die Familienangehörigen aus einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union übernommen werden oder sich außerhalb der Europäischen Union befinden und schutzbedürftig sind.

Unter diesen Voraussetzungen besteht ein gesetzlicher Nachzugsanspruch. Ferner wird von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG – Sicherung des Lebensunterhalts, Vorliegen einer geklärten Identität und Staatsangehörigkeit, Nichtvorliegen eines Ausweisungsinteresses, Erfüllung der Passpflicht – abgesehen. Abgesehen wird unter den genannten Voraussetzungen außerdem von der Anwendung des § 27 Absatz 3 AufenthG. Das heißt, der Familiennachzug darf nicht mit der Begründung des Bezugs von Sozialleistungen derjenigen Person, zu der der Nachzug erfolgen soll, abgelehnt werden.

Sonstige Familienangehörige – wie beispielsweise die Eltern erwachsener Inhaber*innen von Aufenthaltserlaubnissen nach § 24 Abs. 1 AufenthG – können unter den Voraussetzungen des § 36 Abs. 2 AufenthG nachziehen. Der Nachzug muss dann zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte erforderlich sein. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn die nachzugswillige Person pflegebedürftig ist und im Herkunftsland keine Pflege zur Verfügung steht.

Sämtliche nachziehenden Familienangehörigen bekommen, wie § 24 Absatz 4 Satz 3 AufenthG bestimmt, nicht die sonst für den Familiennachzug üblichen Aufenthaltstitel nach dem 6. Abschnitt des Aufenthaltsgesetzes, sondern – ebenso wie jene Person, zu welcher der Nachzug stattfindet – Aufenthaltserlaubnisse nach § 24 Absatz 1 AufenthG. Auch für sie gelten also die oben beschrieben zeitlichen Beschränkungen, Zugangsvoraussetzungen zur Erwerbstätigkeit und Zugangsvoraussetzungen zu Sozialleistungen und sonstigen staatlichen Leistungen. Außerdem ergibt sich aus der Anwendung von § 24 AufenthG auch auf die nachziehenden Familienangehörigen, dass diese nicht – wie sonst üblich – mit dem erforderlichen Visum eingereist sein müssen (vergleiche § 5 Absatz 3 AufenthG, der ein Absehen von § 5 Absatz 2 AufenthG gebietet). Sie können also nach visumfreier Einreise in das Bundesgebiet hier direkt bei der zuständigen Ausländerbehörde den Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis stellen, ohne zuvor ein Visumverfahren vom Ausland aus durchführen zu müssen.

Auch wenn die nachziehenden Familienangehörigen wie beschrieben selbst ebenfalls Aufenthaltserlaubnisse nach § 24 Absatz 1 AufenthG und keine Aufenthaltstitel nach dem 6. Abschnitt zum Familiennachzug erhalten, gelten dennoch die dort befindlichen §§ 31, 33, 34 und 35 AufenthG. Das bedeutet, dass nachgezogene Ehegatten bei einer Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft, nachdem diese drei Jahre im Bundesgebiet bestanden hat, ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 31 AufenthG erhalten. Im Bundesgebiet geborene Kinder von Inhaber*innen von Aufenthaltserlaubnissen nach § 24 Absatz 1 AufenthG erhalten Aufenthaltserlaubnisse nach § 33 AufenthG. Die Verlängerung und Eigenständigkeit von Aufenthaltserlaubnissen nachgezogener Kinder folgt den besonderen Regeln des § 34 AufenthG und die Verfestigung des Aufenthalts von Kindern zu einem unbefristeten Aufenthaltsrecht jenen des § 35 AufenthG.

Ausschlussgründe

Die Gewährung vorübergehenden Schutzes ist bei Personen ausgeschlossen, die schwerster Straftaten verdächtigt sind etwa, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sie ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder auch eine schwere nichtpolitische Straftat begangen haben (Artikel 28 der Richtlinie bzw. § 24 Absatz 2 AufenthG in Verbindung mit § 3 Absatz 2 AsylG).

Gleiches soll gelten, wenn der oder die Betreffende aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er oder sie wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist (§ 24 Absatz 2 AufenthG in Verbindung mit § 60 Absatz 8 AufenthG). Dieser weite Ausschluss ist indessen nicht von Artikel 28 der Richtlinie gedeckt.

Selbst wenn in Folge eines Ausschlussgrundes die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Absatz 1 AufenthG nicht in Betracht kommt, bedeutet dies nicht, dass es zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen kommen darf, da bei den Betroffenen zumindest die Eigenschaft als »Vertriebener« vor einem bewaffneten Konflikt (siehe oben) festgestellt wurde. Daher ist Betroffenen bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes für die Dauer des bewaffneten Konfliktes zumindest eine Duldungsbescheinigung nach § 60 a) AufenthG auszustellen.