In der Reihe "Angekommen?" kommen Menschen nach ihrer Flucht zu Wort.
Ich bin eine normale Frau, habe drei Kinder und ich bin verheiratet. Ich war in meinem Heimatland Lehrerin. Wir hatten Land, zwei Häuser und Autos. Meine Kinder waren auf Privatschulen. 2011 kam der Krieg, der katastrophale Krieg, der alles kaputt gemacht hat. Nach fünf oder sechs Jahren haben mein Mann und ich entschieden, dass wir das Land verlassen müssen, weil die Zustände so schlimm wurden. Wir waren vorher als Touristen in Frankreich, der Schweiz, Deutschland und Italien. Wir wussten, dass wir neu fangen würden, von Null, aber wir haben das akzeptiert, weil wir eine gute Zukunft für unsere Kinder und uns wollten. Wir dachten es wird einfach und dauert ungefähr zwei bis drei Jahre. Ich habe also einen Termin in der deutschen Botschaft in Tunesien vereinbart. Zum Glück haben wir ein Visum erhalten - mein Mann jedoch hat keins bekommen. So musste ich vorerst allein mit meinen Kinder nach Deutschland kommen.
Im ersten Monat habe ich Asyl beantragt und das Interview beim BAMF gemacht. Ich hatte mich viel über die Abläufe informiert, aber mir ist es trotzdem sehr schwer gefallen. Asyl ist nicht einfach und in meiner Kultur eigentlich sehr schlimm. Wir waren zuerst in Suhl. Nach einem Monat haben wir einen Transfer in unsere jetzige Stadt bekommen. Nach ungefähr zwei bis drei Monaten habe ich den Ablehnungsbescheid vom Bundesamt bekommen. Das war sehr hart für uns. Seit dem kämpfe ich. Ich habe meine Kinder in der Schule und mich beim Sprachkurs angemeldet. Da ich keinen Aufenthaltstitel habe, durfte ich nicht einen zusammenhängenden Integrationskurs besuchen, sondern immer ein Kurs pro Sprachniveau und dazwischen Pausen. So dauerte es ganze zwei Jahre. In dieser Zeit habe ich einen Rechtsanwalt beauftragt, um den Aufenthalt für mich und meine Kinder zu sichern. Nach drei Jahren kam der negative Bescheid vom Gericht. Von da an war ich in Deutschland nur geduldet und hatte große Angst abgeschoben zu werden.Da ereilte mich das nächste Problem: Ich wollte meinen Führerschein von meinem Heimatland anerkennen lassen. Bei der Führerscheinstelle haben sie mir gesagt, dass sie die Echtheit des Führerscheins anzweifeln. Also wurden meine Unterlagen zur Überprüfung zur Polizei geschickt und es gab eine Anhörung. Es hat über ein Jahr gedauert, bis die Sache erledigt war und man mir glaubte, das ich nichts falsch gemacht habe. Die Folge war, dass die die Ausländerbehörde in diesem Zeitraum meinen Antrag auf Aufenthalt nicht bearbeitete.
Dann wurde mir empfohlen, eine Ausbildung zu machen. Obwohl ich als studierte Lehrerin in meinem Heimatland gearbeitet hatte, begann ich eine neue Ausbildung. In dieser Zeit hat mein großer Sohn mit 14 Jahren wegen guter Integration einen Aufenthaltstitel bekommen. Vor Monaten habe ich meinen Abschluss gemacht – einen Aufenthalt aber bekam ich bis heute nicht:
Ich erinnere mich an einen Tag, an dem ich morgens 7 Uhr einen Anruf von meinem Ansprechpartner bei der Ausländerbehörde bekam. Er wollte mit mir über meine Situation sprechen. Ich hatte eigentlich Unterricht wegen meiner Ausbildung, aber er bestand darauf, dass ich schnell zu ihm gehe. Ich hatte in diesem Moment viel Hoffnung, doch es war wieder eine Enttäuschung. Er wollte nur fragen, ob ich die Ausbildung noch mache und versprach mir einen Aufenthalt, wenn ich den Abschluss geschafft habe. Als ich meine Ausbildung beendete, habe ich mich direkt bei meinem Sachbearbeiter in der Ausländerbehörde gemeldet. Da meinte er nur, ich solle zuerst einen Arbeitsvertrag vorlegen und dieser müsse unbefristet und in Vollzeit sein. „Du musst also wie ich arbeiten jetzt – vierzig oder fünfunddreißig Stunden pro Woche!“ Das fand ich sehr respektlos. Ich gebe seit Jahren mein Bestes, aber werde immer nur vertröstet. Ich möchte doch einfach nur ein normales Leben hier in Deutschland. Ich möchte in Frieden leben.
Das Problem mit der Arbeit ist, dass die meisten Arbeitgeber einen richtigen Aufenthaltstitel wollen. Ohne festen Aufenthalt, kein unbefristeter Arbeitsvertrag also – und andersrum wie es mir scheint. Es ist auch traurig, dass ich mit meinen Kindern nicht reisen kann. Wir waren früher viel in Europa im Urlaub. Seit wir hier sind, können wir gar nicht mehr reisen, da meine Duldung es mir nicht erlaubt. Ich darf mich nicht in einem anderen Land aufhalten. Meine Kinder sind jetzt schon sehr viel älter, sie sind seit sechs Jahren in Deutschland. Und wir bekommen noch immer Geld vom Sozialamt. Es reicht für Essen, Kleidung und Schulbedarf, aber für nicht mehr. In unserer Heimat hatten wir immer alles, was wir brauchten.
Sechs Monate nach meiner Ankunft in Deutschland, hatte es auch mein Mann geschafft. Wir waren als Familie endlich wieder zusammen. Er ist jetzt fünf Jahre hier. Er hat auch die Deutschkurse bis B2 gemacht und gut geschafft. Seitdem sucht er Arbeit. Dazu hat er noch einige Weiterbildungskurse besucht. Trotzdem findet er keine Stelle. Ich habe jetzt zwei Monate lang Bewerbung nach Bewerbung geschrieben. Und es gibt keine Chance. Dabei reden immer alle von Fachkräftemangel!
Leider haben wir auch viel Rassismus erfahren müssen. Natürlich.
Einmal war ich nach dem Deutschkurs auf dem Weg nach Hause und wollte in den Bus einsteigen. Der Fahrer machte erst die Tür auf, als ich an die Scheibe geklopft hatte. Dann meinte er, er nimmt mich nur mit, wenn ich aufhöre zu telefonieren. Ich fing an zu weinen und sagte „nein, es ist nicht dein Business, es ist nicht dein Leben.“ Ich bin dann nach Hause gelaufen und habe eine Email an das Busunternehmen geschrieben. Sie entschuldigten sich zwar, aber so etwas passiert immer wieder. Es gibt einige Busfahrer, die alle Fahrgäste grüßen und wenn ich einsteige und „Guten Morgen“ sage, dann den Kopf zur Seite drehen.
Einmal war ich einkaufen und ich habe mich an der Kasse angestellt. Dann kam ein Mann und hat sich vor mich gestellt. Ich sagte ihm, dass ich hier die erste war. Er sagte nur „Nein, ich bin Deutscher, ich stehe hier“. Er fing dann an mit meinem Mann zu streiten. Als wir schließlich den Markt verlassen hatten, packte er meinen Mann plötzlich am Hals. Davon habe ich sogar ein Foto gemacht und an die Polizei geschickt. Konsequenzen gab es keine. Uns wurde gesagt, wir könnten ja umziehen, um diesem Mann nicht mehr zu begegnen. Wir hätten auch Anzeige erstatten können, aber wir wollen keine Probleme machen. Wir wollen doch nur in Frieden leben. Da gab es auch noch eine weitere, unglaubliche Geschichte: Als wir ganz neu in der Stadt ankamen, besuchte mein Sohn direkt die Schule. Er konnte kaum Deutsch sprechen und verständigte sich oft auf Englisch. Er hat sich dann mit Schülern über ein Computerspiel unterhalten. Er sagte, er habe im Spiel „viele „bombs and guns and money“. Er erzählte es mir nach der Schule. Er war so glücklich, dass er Kontakt zu den Mitschülern aufbauen konnte und auch sie dieses Spiel spielen. Doch dann klingelte es noch am gleichen Tag gegen 22 Uhr an unserer Tür. Ich schaue durch den Türspion und sehe da fünf oder sechs Polizisten. Sie wollten mit mir sprechen, also habe ich sie rein gelassen. Es ging wohl um meinen Sohn.
Dann durchsuchten Sie ohne zu fragen unsere ganze Wohnung. Meine Kinder waren damals noch klein, sie hatten viel Angst und geweint.
In dem Moment dachte nur: „ Das ist Deutschland? Das ist was ich jetzt habe, obwohl ich vom Krieg in meinem Heimatland geflohen bin?“ Am nächsten Tag bin ich in die Schule gegangen um die Situation zu klären. Niemand fühlte sich zuständig und es gab nur ein Gespräch mit der Klassenlehrerin. Die Situation führte natürlich dazu, dass mein Sohn nie Anschluss in der Schule fand. Einem Schulwechsel wurde nicht zugestimmt. Selbst ein Jahr nach dem Vorfall wurde ich beim Elternabend darauf angesprochen. Aber klären wollte es auch niemand. Offensichtlich hatten andere Kinder vom Gespräch über das Computerspiel erzählt und Eltern haben darauf die Polizei gerufen. Ein Missverständnis also?
Ein anderes mal war ich mit meiner Tochter in der Straßenbahn und ein Mann hat zu uns gerufen: „Hau ab! Hau ab!“. Er hat sich dann auf meinen Platz gesetzt und ganz viele schlechte Dinge zu uns gesagt. Wir sind dann direkt an der nächsten Haltestelle ausgestiegen. Wir mussten schon viele solcher rassistischen Situationen erleben.
Ich habe schon oft zu meinem Mann gesagt, dass wir besser zurück in die Heimat gehen. Dort gibt es weiterhin Krieg und keine Sicherheit - aber hier in Deutschland habe ich einfach keine Chance.
Früher hatte ich ein anderes Bild von Deutschland. Ich dachte, es gibt viel Arbeit und Technologie und die Leute haben ein offenes, europäisches Denken. Nun musste ich vielen schlechten Menschen begegnen und das macht mein Leben sehr schwer. Ich habe momentan keine Kraft und Motivation noch irgendetwas zu machen. Ich habe schon fünf Mal einen Aufenthalt beantragt und wurde immer vertröstet. Ich war in so vielen Beratungsstellen, aber niemand konnte mir helfen. Ich habe hier keine Chance. In Deutschland zu leben ist für uns sehr schwer.