In der Reihe "Angekommen?" kommen Menschen nach ihrer Flucht zu Wort.
Mein Name ist Adil (Name geändert). Ich musste aus Syrien fliehen und habe im Oktober 2021 Deutschland erreicht. Ich wurde nach Thüringen verteilt und kam dort für einige Wochen in das Suhler Camp. Ich erinnere mich noch gut an den Tag, als wir in einen Bus einsteigen mussten und dabei nicht wussten, wohin wir gebracht werden. Es war kalt und regnete stark. Wir fuhren eine ganze Weile und in mir kam immer mehr ein Gefühl der Fremde auf. Als der Bus schließlich an einem Ort hielt und wir aussteigen sollten, schaute ich als erstes auf das einzeln stehende Haus. Das Haus, in dem ich mich zukünftig aufhalten muss. Wo sind wir? Wie lang bleibe ich hier? Ist das die Adresse, an der ich nun leben werde? In den letzten 10 Jahren musste ich häufig Orte und Adressen ändern, erlebte immer wieder dieses Gefühl der Fremde. Immer wieder tröstete ich mich mit der Gewissheit, dass auch dieser oder jener Aufenthalt vorübergehen wird.
Ich habe mal einen Artikel gelesen, in dem die Gesundheit eines Menschen vor allem mit emotionaler Stabilität und einem Ort des Ankommens verknüpft ist. Wie geht es mir also, nach Krieg, Flucht, ohne Freunde und Familie und an einem Ort, den ich nicht kenne und wählen konnte? Ich fühle mich fremd, habe keinen Bezug zu dem, was mich umgibt – es fühlt sich an, als würde ich keinen festen Boden unter meinen Füßen haben. Als würde ich auf wildem Wasser laufen lernen müssen. Ich fühle mich traurig - überwältigend traurig mit Blick auf das Leben im Allgemeinen und mit Blick auf mein konkretes Leben hier in Thüringen.
Die Trauer kommt während ich hier verweile und dabei alle Erinnerungen hochkommen.
Ich frage mich, warum all das passiert. Doch diese Frage kann man nicht beantworten und so bleiben Trauer und Verzweiflung nahezu unwidersprochen. Auch den anderen hier geht es so – einige haben noch schwerere Erfahrungen als ich machen müssen.
Doch am ersten Ort durfte ich nicht lange bleiben. Dann musste ich in eine andere Kleinstadt in eine Obdachlosenunterkunft umziehen. Dort bekam ich mit anderen Syrern ein kleines Zimmer. Ich habe mich schon gefragt, warum wir nun in einem Obdachlosenheim und damit verbunden wieder an einem anderen Ort leben müssen. Die Antwort des Einrichtungsleiters war „bei uns in Deutschland gibt es ein Verbot auf der Straße zu schlafen und weil Du ein Flüchtling bist, würdest Du hierher gebracht um nicht auf der Straße zu schlafen“. Doch den eigentlichen Grund erfuhr ich erst später. Ich musste das Asylheim verlassen, weil ich vom BAMF meine Anerkennung als Flüchtling erhalten hatte und man sich dann eine Wohnung suchen muss. Darüber hatte mich der Sozialarbeiter vorher nicht informiert und so bin ich vorerst in Leinefelde gelandet.
Ich bin 36 Jahre alt geworden und beginne nun wieder von Null. Mittlerweile das vierte oder fünfte Mal in meinem Leben.
Jedes Mal ankommen in der Hoffnung sich Sicherheit und Perspektive aufbauen zu können, erschöpft mich. Um ehrlich zu sein, ich fühle mich sehr alt. Es ist für mich schwierig älter zu werden und mit dem Blick zurück auf die eigenen Erfolge feststellen zu müssen, dass ich nie etwas Großes in meinem Leben erreicht habe.
Nur wie kann ich Ankommen und etwas erreichen? Ich habe zunächst versucht, mich hier vor Ort zu engagieren. Da ich Englisch spreche, versuchte ich für die anderen Geflüchteten zu dolmetschen, damit sie mit den Sozialarbeitern in Kontakt kommen können. Ich habe versucht allein die deutsche Sprache zu lernen. Leider lebe ich hier sehr abgeschieden – es gibt kein gutes Internet, wenig Busverbindungen und kaum Aktivitäten in der Nähe. Was bleibt ist viel Zeit – Zeit zum verloren sein – Zeit zum quälenden nachdenken. Manchmal stand ich am Fenster und habe die Gegend fotografiert, versuchte zu realisieren, wo ich bin und wie ich hier leben muss. Ich habe versucht einen Umgang damit zu finden. Dann hörte ich von einem Theater-Projekt in Erfurt. Ich versuchte bei allen Treffen und Proben dabei zu sein. Ich fuhr nach Erfurt, um Teil des Projekts zu sein. Damit hatte ich eine Aufgabe – wenn auch eine Kleine.
Es gibt noch immer viele Dinge, die mir auf Herzen liegen. Ich versuche einigermaßen rational zu sein und mich ein bisschen von den Gefühlen zu entfernen. Doch was ich nicht ausblenden kann ist der Rassismus in all seinen Ausdrücken von verbaler bis körperlicher Gewalt. Dabei werde ich in zweierlei Hinsicht immer wieder damit konfrontiert, anders zu sein und nicht dazu zu gehören: Einerseits der Rassismus mitten in der Gesellschaft uns geflüchtete Menschen gegenüber. Andererseits der strukturelle Rassismus der tief im deutschen System liegt. Die Gesetze hier sind in gewisser Weise rassistisch formuliert oder werden zumindest so interpretiert. Wir hier sind, um ein normales Leben zu haben, Perspektiven zu erarbeiten und dabei das Land in dem wir leben mitzugestalten. Nicht mehr und nicht weniger. Dazu möchte ich den Politikern und Entscheidungsträgern gern sagen: Alles konnte anderes und viel besser laufen und die Erfahrung mit den ukrainischen Geflüchteten in der letzten Zeit hat uns das deutlich gezeigt.
Es sollte keine schlechten und guten Geflüchtete geben, es sollte nicht zwischen weißen oder schwarzen Geflüchteten unterschieden werden.
So sollte es nicht sein, in einem Land, das behauptet, Land der Menschenrechte zu sein und dabei auch für diese streitet.
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