21. Oktober 2021
Afghanistan: Handlungsoptionen für die Landesregierung

Wir zeigen auf, welche Handlungsmöglichkeiten die Thüringer Landesregierung hat, um die Situation von Afghan:innen sowohl mit Blick auf Aufnahmeprogramme und Familiennachzug als auch auf die aufenthaltsrechtliche Situation bereits in Thüringen lebender Afghan:innen verbessern zu können. Die Punkte haben wir auch dem zuständigen Minister Dirk Adams zukommen lassen.

  • Die Handlungsmöglichkeiten gibt es hier auch als Dokument
  • Ein Radiobeitrag zum Thema gib es auf der Website von Radio F.R.E.I.


Aufnahmeprogramme

  • Einsatz auf Bundesebene für die Einrichtung eines Bundesaufnahmeprogramms, insbesondere für gefährdete Verteidiger:innen von Demokratie und Menschenrechten aus Afghanistan.
  • Klage gegen das Bundesinnenministerium gegen die Ablehnung des Thüringer Landesaufnahmeprogramms, da eine vermeintliche Gefährdung der Bundeseinheitlichkeit nicht nachvollziehbar dargelegt ist, humanitäre Hilfe des Landes Thüringen verweigert wird und der Ländergestaltungsspielraum unzulässig eingeschränkt wird.
  • Schnellstmögliche Neuauflage eines Thüringer Landesaufnahmeprogramms für Familienangehörige von Afghan:innen. Dabei sollte auf finanzielle Verpflichtungserklärungen als allgemeine Einreisevoraussetzung verzichtet werden. Es darf kein Ausschlussgrund sein, wenn es in Deutschland keine Person gibt, die sich für die kommenden 5 Jahre zur Übernahme aller Lebenshaltungskosten zur Verfügung stellt. Es sollte keine Zahlenbegrenzung bei der Aufnahme der Schutzsuchenden geben.
     

Familiennachzug erleichtern

  • Neben dem Landesaufnahmeprogramm sollte der Familiennachzug zu Personen, die über eine Aufenthaltserlaubnis nach §§ 22, 23 Abs. 1 oder Abs. 2 oder § 25 Abs. 3 oder Abs. 4a Satz 1, § 25a Abs. 1 oder §25b Abs. 1 AufenthG verfügen, ermöglicht werden. Mit diesen Aufenthaltserlaubnissen ist ein Familiennachzug nur aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen Deutschlands möglich.
  • Um den gemeinsamen Familiennachzug sowohl der Eltern als auch der Geschwister eines minderjährigen unbegleiteten Flüchtlings (§ 36 und § 36a AufenthG) zu ermöglichen, sollte auch für die Geschwister von der Sicherung der Lebensunterhaltes und dem Erfordernis entsprechendem Wohnraumes regelmäßig als Voraussetzung abgesehen werden (analog Berliner Anwendungshinweise).
  • Per Erlass sollten die Möglichkeiten des Nachzugs von Familienangehörigen aufgrund einer außergewöhnlichen Härte nach § 36 AufenthG, wovon in der aktuelle Situation in Afghanistan auszugehen ist, großzügig genutzt werden.


Ortskräfte

  • Allen Personen, die mit einem Visa bzw. einem Ausnahmevisa im Rahmen der Evakuierungen eingereist sind, sollte zügig eine Aufenthaltserlaubnis nach § 22 Satz 2 AufenthG erteilt werden (siehe auch Erlass von Schleswig – Holstein vom 12.10.2021). Unabhängig davon besteht für die Personen die Möglichkeit einen Asylantrag zu stellen.
  • Im Falle eines Asylantrages sollte der Wohnort in der Kommune weiter bestehen bleiben und kein Aufenthalt in der Thüringer Erstaufnahmeeinrichtung sowie keine Neuverteilung bzw. Zuweisung in einen neuen Wohnort erfolgen.


Aufenthaltsrechtliche Situation von Afghan:innen in Thüringen verbessern

  • Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 23 Abs. 1 AufenthG für alle Afghan:innen im unsicheren Aufenthaltsstatus in Thüringen aufgrund humanitärer Gründe durch das Thüringer Migrationsministerium.
  • Erlass zu § 25 Abs. 5 AufenthG: weder ist eine Abschiebung möglich noch eine freiwillige Ausreise für Afghan:innen absehbar zumutbar. Damit sollte die Erteilung von entsprechenden Aufenthaltserlaubnissen für Afghan:innen mit Duldung ermöglicht werden. Vorrangig sollten die Ausländerbehörden auf die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach §25 a und b AufenthG, insbesondere durch die großzügige Anwendung des Thüringer Erlasses vom 07.06.2019, hinwirken.
  • Erlass zu § 51 AufenthG mit Blick auf einen Asylfolgeantrag trotz bestehendem Abschiebeverbot analog der Berliner Regelung: „Der Erlöschenstatbestand wird nur durch die Stellung eines Asylantrags ausgelöst und greift nicht bei der Stellung eines Folgeantrags, unabhängig davon, ob der Folgeantrag in ein weiteres Asylverfahren mündet.“ (VAB Berlin A51.1.8)
  • Es sollte ein ausnahmsloser Abschiebestopp nach Afghanistan ausgesprochen werden.
  • Verlängerung des Zeitraums von Duldungen: da zumutbare Ausreisen noch Abschiebungen aufgrund der Sicherheitslage unabsehbar sind, sollten Duldungen für einen deutlich längeren Zeitraum als der üblichen 1- 3 Monate erteilt werden, sondern zunächst für 12 Monate (siehe auch Erlass von Schleswig – Holstein vom 12.10.2021).
  • Unzumutbarkeit der Passbeschaffung/ Ausstellung von Reiseausweisen: afghanische Pässe und Identitätsdokumente können derzeit und absehbar nicht beschafft werden. Eine Vorsprache bei den afghanischen Auslandsvertretungen in Deutschland ist unabhängig des Aufenthaltsstatus unzumutbar. Auch in Afghanistan sind diese Dokumente nicht beschaffbar, da Verwandte von Geflüchteten sich in Lebensgefahr bringen würden. Alle Afghan:innen in Deutschland sollten Reisedokumente ausgestellt werden, da faktisch und rechtlich die Mitwirkungspflicht zur Dokumentenbeschaffung absehbar nicht zumutbar ist.
  • Einsatz auf Bundesebene, dass afghanische Geflüchtete umgehend zu den Integrationskursen aufgrund einer geänderten Bleibeperspektive zugelassen werden.
  • Im Falle eines Asylantrages sollte der Wohnort in der Kommune weiter bestehen bleiben und kein Aufenthalt in der Thüringer Erstaufnahmeeinrichtung sowie keine Neuverteilung bzw. Zuweisung in einen neuen Wohnort erfolgen.