Bei der öffentlichen Anhörung des Innenausschusses des Bundestages nimmt PRO ASYL am Montag Stellung zu bisher nicht öffentlich bekannten Vorschlägen im Rat der EU. Mit der Verschärfung des Konzepts der sogenannten sicheren Drittstaaten würde sich die EU systematisch aus dem Flüchtlingsschutz zurückziehen.
"Das Ende des Flüchtlingsschutzes in der EU droht", warnte Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL. "Die EU entfernt sich rasant davon, ein Raum der Freiheit und des Rechts zu sein. Aktuell wird ernsthaft zwischen den Mitgliedstaaten diskutiert, Flüchtlinge in außereuropäische Staaten zu schicken, die sie noch nie betreten haben. Flüchtlingsschutz müssen sie dort nicht bekommen können und die Drittstaaten auch nur eine minimale Versorgung garantieren. Menschenrechtswidrige Abschiebungen sind so vorprogrammiert. Die Bundesregierung muss sich klar gegen diese schockierenden Auslagerungsphantasien stellen!", fordert Judith.
Flüchtlingsschutz in der EU droht unerreichbar zu werden
Rechtlich geht es um Folgendes: Im Rahmen der Reform des europäischen Asylsystems soll eine Ausweitung des Konzept der sogenannten sicheren Drittstaaten stattfinden. Ziel der Prüfung im Asylverfahren ist dann primär die Frage, ob nicht ein außereuropäischer Drittstaat für die Schutzsuchenden "sicher" sei, so dass sofort dahin abgeschoben werden kann, ohne den Asylantrag überhaupt inhaltlich zu prüfen. Die Anforderungen daran, was als "sicher" gilt, sollen laut aktuellen Plänen im Rat der EU massiv gesenkt werden. So müsste nicht einmal mehr Voraussetzung sein, dass die geflüchtete Person sich je in dem Land aufgehalten hat und dass sie dort einen Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention bekommen kann. Außerdem würden sichere Teilgebiete reichen, um Menschen in das Land abzuschieben. Dabei wird es aber die Betroffenen auferlegt darzulegen, dass das Land – das sie gegebenenfalls gar nicht kennen – für sie nicht sicher ist.
Das passt auch nicht zum Koalitionsvertrag, indem die Bundesregierung festgehalten hat: "Der Asylantrag von Menschen, die in der EU ankommen oder bereits hier sind, muss inhaltlich geprüft werden." [Herv. d. Red.]
Effektiv gegen ihre Ablehnung wehren könnten sich die schutzsuchenden Menschen im neuen System auch nicht. So gehört zur derzeit diskutierten Reform des europäischen Asylsystems eine neue Asylverfahrensverordnung mit verpflichtenden Grenzverfahren. Das würde bedeuten, dass die Schutzsuchenden kein EU-Land betreten dürfen, sondern an den Außengrenzen festgehalten werden, solange ihre Asylanträge geprüft würden – weitgehend isoliert, abgeschnitten von Hilfe und Beratung und absehbar unter haftähnlichen Bedingungen. Auch der Rechtsschutz soll stark eingeschränkt werden.
Abwehrmodelle verursachen Leid und haben sich nicht bewährt
"Es ist fatal, dass sich viele Politiker*innen aktuell in Pläne versteigen, wie die EU den Flüchtlingsschutz anderen Ländern aufs Auge drücken kann – anstatt daran zu arbeiten, dass in Europa der Schutz von fliehenden Menschen wieder Konsens wird. Dass die Aufnahme von fliehenden Menschen gut gelingt, wenn der politische Wille vorhanden ist, zeigt sich bei der Aufnahme von ukrainischen Kriegsflüchtlingen", sagt Wiebke Judith. "Außerdem funktionieren diese Ideen in der Praxis nicht, wie man am EU-Türkei-Deal in Griechenland sehen kann – verursachen aber dennoch immenses Leid und machen die EU von oft autokratischen Regierungen abhängig. Auch die ‚australische Lösung‘, die aktuell propagiert wird, hat zu starken Menschenrechtsverletzungen an den Betroffenen geführt".
Australien schickt seit 2012 per Boot ankommende Schutzsuchende nach Papua-Neuginea und Nauru, wobei ersteres Land die Zusammenarbeit mittlerweile aufgekündigt hat. Diese Politik wird seit Jahren von Menschenrechtler*innen massiv kritisiert, auch weil es nach der Rückführungen zu unmenschlicher Behandlung, Misshandlungen und Übergriffen sowie fehlender medizinischer Behandlung gekommen ist.
Pushbacks müssen enden: Bundesregierung sollte mit einem Pilotprojekt voran gehen
"Es ist zudem bezeichnend, dass in den Reformplänen zum europäischen Asylsystem keine wirksamen Maßnahmen gegen die illegalen Pushbacks an Europas Grenzen vorgesehen sind. Vorschläge wie die zur Instrumentalisierungsverordnung könnten die Pushback-Praxis sogar verstärken", befürchtet Wiebke Judith.
Dabei gibt es konkrete Vorschläge, wie mit einem unabhängigen und solidarischen Menschenrechtsmonitoring dem Grenzschutz mehr Rechtsschutz entgegen gestellt werden kann. In einer u.a. von PRO ASYL finanzierten Machbarkeitsstudie wird dies detailliert ausgeführt. "Die Bundesregierung hat es sich im Koalitionsvertrag zum Ziel gemacht, ‚die illegalen Zurückweisungen zu beenden‘. Bislang fehlt es hierfür an politischen Initiativen. Ein von der Bundesregierung finanziertes erstes Pilotprojekt für ein Menschenrechtsmonitoring an deutschen Grenzen mit umfangreichen Untersuchungsbefugnissen wäre ein starkes Signal an andere Mitgliedstaaten", fordert Judith.
Informationen zur öffentlichen Anhörung
Gründe gegen diese und andere Verschärfungen sowie Argumente für Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in der EU führt Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL, als geladene Sachverständige heute im Innenausschuss des Bundestags aus. Dort läuft am heutigen Montag, 27. März 2023, von 14 bis 16 Uhr eine öffentliche Anhörung zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS).
Informationen zu den Sachverständigen und die Stellungnahme finden sich hier. Die Stellungnahme von Wiebke Judith findet sich zudem hier. PRO ASYL hat zudem notwendige rote Linien der Bundesregierung für die Verhandlungen zur europäischen Asylreform veröffentlicht. Die Machbarkeitsstudie zum Menschenrechtsmonitoring kann hier abgerufen werden.
Die Anhörung selbst beginnt am Montag, 27. März, um 14 Uhr, sie wird zeitverzögert am Dienstag ab 13 Uhr im Parlamentsfernsehen übertragen.