1. September 2016
Thüringer Fachvernetzung von Rechtsanwält*innen und Flüchtlingssozialberater*innen beklagt aktuelle Auswirkungen der Wohnsitzauflage für Flüchtlinge

Beim Fachtreffen von Thüringer Rechtsanwält*innen und Flüchtlingssozialberater*innen am 31.8.2016 in Erfurt wurden die Auswirkungen der neu geltenden Wohnsitzauflage auf das jeweilige Bundesland für anerkannte Flüchtlinge stark kritisiert.

Mit dem Inkrafttreten des sogenannten Integrationsgesetzes August 2016 gilt in der Regel, dass anerkannte Flüchtlinge in dem Bundesland bleiben müssen, in dem ihr Asylverfahren durchgeführt wurde. Die Regelung gilt rückwirkend zum 1. Januar 2016. Dadurch sind auch bereits umgezogene Personen betroffen. Viele werden nun aufgefordert wieder zurückzuziehen.

Das Netzwerk spricht sich für eine zeitnahe rechtliche Klarstellung der Landesregierung aus:

  • Dass jede*r, der/ die vor Inkrafttreten des Integrationsgesetzes rechtmäßig aus einem anderen Bundesland nach Thüringen zugezogen ist, Vertrauensschutz genießt. Ein Zurückschicken in das Bundesland des Asylverfahrens widerspricht jeglichem Integrationsgedanken. Auch die Sozialleistungen müssen weiterhin in Thüringen gewährt werden.*
  • Dass keine weitere Einschränkung der Bundesland-Wohnsitzauflage auf einzelne Kommunen oder Landkreise in Thüringen erfolgt. Diese wäre ein weiterer massiver Eingriff in Persönlichkeitsrechte und integrationsfeindlich, auch wenn einige Landkreise/ kreisfreie Städte aus vermeintlichen Wohnungs- oder Planungsgründen aktuell anderes behaupten.

Die Wohnsitzauflage führt aktuell schon zu chaotischen Zuständen, wie sich beispielsweise in Nordrhein-Westfalen zeigt.** Faktisch werden anerkannte Flüchtlinge, die bereits eine Wohnung im anderen Bundesland haben, in die Obdachlosigkeit getrieben. „Dieser integrationsfeindliche Wahnsinn der Wohnsitzauflagen muss sofort gestoppt werden“, so Ellen Könneker vom Flüchtlingsrat Thüringen e.V.

Das Netzwerktreffen wird vom Flüchtlingsrat Thüringen organisiert und findet seit 2009 viermal im Jahr statt. Am gestrigen Treffen nahmen 34 Flüchtlingssozialberater*innen aus unterschiedlichen Regionen Thüringens und unterschiedlichen Organisationen (Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Paritätischer, Diakonie) sowie Rechtsanwält*innen teil.

*Erläuterung:
Beispiel: Mit ihrem Flüchtlingsschutzstatus zieht eine Familie im Juni 2016 nach Bayern. Sie mietet dort eine Wohnung an, schult die Kinder ein, baut sich einen Freundeskreis auf, meldet sich für Sprachkurse an und bezieht zunächst Leistungen des Jobcenters. Zu diesem Zeitpunkt war das alles rechtmäßig. Jetzt beginnen die Jobcenter und die Ausländerbehörden festzustellen, dass – rückwirkend - zum 1.1.2016 eine Wohnsitzauflage bestanden hat. Davon wussten aber im Juni 2016 weder die Behörden noch die Betroffenen.
Erste Berichte machen deutlich, dass Geflüchtete mit einer Einstellung der Leistungen vom Jobcenter am neuen Wohnort rechnen müssen und unter Umständen zurückgeordert werden, da nun die Wohnsitzauflage „Thüringen“ für sie gilt.

** WAZ 30.08.2016:
Städte weisen anerkannte Flüchtlinge aus NRW aus
http://www.derwesten.de/politik/staedte-weisen-anerkannte-fluechtlinge-aus-nrw-aus-id12148475.html