4. August 2015
„Es ist langweilig hier, man kann nur schlafen“- Bericht vom Besuch der Gemeinschaftsunterkunft in Wenigenlupnitz am 4.8.2015

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In der Woche vom 3. bis 7.August 2015 besucht der Flüchtlingsrat Thüringen e.V. Flüchtlinge und ihre Unterstützer*innen in verschiedenen Landkreisen und dokumentiert ihre Sicht auf die derzeitige Unterbringungssituation von Asylsuchenden.

Das kleine Auto schiebt sich durch die sanft gewellte Landschaft - wir haben die Autobahn verlassen und fahren auf die Hörselberge zu. Windräder drehen sich scheinbar lautlos über wogenden Feldern. Fachwerkhäuser sind hübsch zu recht gemacht und verbreiten eine heimelige Atmosphäre.

Am Wochenende führt für die Asylsuchenden kein Weg aus dieser Idylle heraus - Busse fahren nur von Montag bis Freitag aus Wenigenlupnitz ab.

Die Gemeinschaftsunterkunft ist in einem ehemaligen Rittergut eingerichtet worden, seit dem Frühjahr leben dort Flüchtlinge aus Eritrea, Somalia, Serbien, Irak, Syrien und anderen Nationen.

Der erste Eindruck ist verstörend, am Rande ler ländlichen Idylle von Wenigenlupnitz erhebt sich das ehemalige DDR-Kinderheim leicht über den Ort. Ein neuer, grüner Zaun zeigt klar die Grenzen auf, zwei Tore führen nach draußen. Beim Näherkommen erkennt man den abbröckelnden Putz, die Einfach-Verglasung, die wahrscheinlich im Winter die Heizungskosten in die Höhe treiben wird. Im weitläufigen Außengelände finden sich keine Sitzmöglichkeiten,  ein verrostetes Klettergerüst und bröckelnde Tischtennisplatten sind das Inventar der Wiese.

Wir nehmen gemeinsam mit Flüchtlingen auf dem Boden unter den Schatten spendenden Bäumen Platz und fragen sie, wie es Ihnen hier geht.

„Das ist das erste Mal, dass jemand kommt und fragt, wie es mir geht“ berichtet ein Mann aus Eritrea. Es ist auch eines der wenigen Male, dass er sich überhaupt mit einem Dolmetscher unterhalten und über seine Situation sprechen kann. Die Langeweile und die fehlenden Möglichkeiten, Kontakt mit der Außenwelt herzustellen, sind sehr belastend. Es gibt keinen Internetzugang jenseits der Möglichkeit durch Mobiltelefone. Und einer der beliebtesten Simkartenanbieter, mit dem Anrufe ins Ausland nicht so teuer sind, hat keinen Empfang. Dazu kommt die Unklarheit, wann dieser Zustand beendet sein wird. Es gibt keine Höchstdauer für die Bearbeitung eines Asylantrages - aber genau das ist die Zeit, für die die Geflüchteteten in Wenigenlupnitz oder in einer anderen Unterkunft des Landkreises wohnen müssen. Die Menschen aus Somalia berichten, dass sie seit mehr als einem Jahr in Deutschland sind und bislang nur ihr „erstes Interview“ beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatten. Und seitdem nichts weiter gehört oder gelesen haben zu ihrem Asylantrag. Ihre Fluchtgründe konnten sie noch nicht vortragen.

Die Möglichkeiten, von hier wegzukommen, sind sehr begrenzt: entweder erhalten die Menschen ihre Anerkennung im Asylverfahren und können sich somit eigenen Wohnraum suchen oder sie warten und warten und warten.

Wir treffen eine junge Frau. Sie hat vor zwei Monaten ihr Baby in Suhl, einer der beiden Landeserstaufnahmestellen für Asylbewerber, zur Welt gebracht und ist alleinerziehend. Zuerst kam sie nach Suhl , dann in das Heim nach Gerstungen und jetzt hierhin. Sie berichtet, dass sie Schmerzen nach einer Operation hat und nicht schwer heben kann. Das Einkaufen ist eine große Anstrengung für sie - der nächste Supermarkt in Eisenach ist mit dem Bus zu erreichen. Andere Leute helfen ihr, aber sie ist sehr unglücklich mit der Situation. Ihre Chancen auf Umverteilung in eine weniger ablegene Unterkunft seien sehr schlecht, wurde ihr bisher gesagt.

Das Zimmer, in dem sie mit ihrem Sohn lebt, ist funktional eingerichtet: ein Bett, ein Babybett, Metallspinde und ein Kühlschrank füllen den kleinen Raum. Kinderklamotten in Tüten stehen in einer Ecke, vor dem Fenster wehen Gardinen im Zugwind. Ein Baugerüst führt direkt vor ihrem Fenster vorbei, nach einer Möglichkeit zum blickdichten Abdunkeln fragen wir vergebens. Nachtens findet sie keine Ruhe, auch für das Baby ist es schwer. Alle Geräusche auf dem langen Flur hallen und tragen sich durch die Gänge, die Geräusche aus der Gemeinschaftsküche und die Gerüche sind weithin wahrnehmbar.

Elektroherde und Metallspülen bilden das Inventar der Küche, nach Arbeitsflächen zum Vorbereiten und Abstellen halten wir vergebens Ausschau. Ein Putzplan mit Zimmernummern regelt die Sauberkeit. Es sieht trist aus, eine Möglichkeit zum Essen und Sitzen gibt es in den Zimmern der Flüchtlinge.

Pro Person ein Stuhl und ein Platz am Tisch sehen die rechtlichen Rahmenbedingungen vor: mehr finden wir auch nicht, oftmals sogar weniger.

Eine junge Frau spricht unseren Dolmetscher auf Arabisch an, sie ist im dritten Monat schwanger, wie können wir ihr helfen: Sie teilt sich mit ihrem Mann ein Zimmer und ein Bett. Es ist wirklich nur ein Bett, 90 cm breit, eine zweite Matratze ist vorhanden, aber uns ist rätselhaft, wo die Platz finden sollte in dem kleinen Zimmer. Das Bad teilen sich die werdenden Eltern mit einer zweiten Familie. Wie in einer Jugendherberge ist das Bad aus zwei Zimmern gleichzeitig zu erreichen. „Wo soll das Baby schlafen, wenn es da ist?“ Wir erläutern ihr, dass im Thüringer Flüchtlingsaufnahmegesetz geregelt ist, dass die besonderen Bedürfnisse von Familien berücksichtigt werden sollen und vermitteln erstmal Zuversicht, dass sich an die gesetzlichen Grundlagen gehalten wird. Auf unseren Aufgabenzettel für die Zeit zurück am Schreibtisch notieren wir ein Erinnerungsschreiben zu den gesetzlichen Grundlagen an den verantwortlichen Landrat. Und ob vielleicht das zuständige Jugendamt auch informiert werden sollte? Zahlreiche Kinder wimmeln durch die Anlage, ein Kinderspielzimmer wird gerade vorbereitet und es gibt eine Spielstunde von Ehrenamtlichen für die Kinder der Unterkunft.

Doch der Teufel steckt im Detail: die Familien, welche wir treffen, teilen sich ein Zimmer, in dem alles stattfindet: essen, schlafen, fernsehen, Hausaufgaben, Besuch empfangen. Rückzugsmöglichkeiten für die Eltern, ruhige Schlafzimmer - Fehlanzeige. Zur Erinnerung: es ist völlig offen, wie lang dieser Zustand anhält. Es handelt sich nicht um eine kurze Übergangszeit, sondern bedeutet für manche Kinder und ihre Eltern jahrelangen Dauerzustand.

Durch Ehrenamtliche wurde bislang dreimal die Woche für ein bis zwei Stunden ein Sprachkurs in der Gemeinschaftsunterkunft angeboten, gerade ist Sommerpause, er soll fortgesetzt werden. Für einige der jüngeren Flüchtlinge gibt es die Möglichkeit, einen längeren Sprachkurs demnächst zu besuchen. Die anderen sollen sich Arbeit suchen, würden sie auch gern, aber ohne Grundkenntnisse der deutschen Sprache? Wir fragen uns, wie das gehen soll.

Wir verabschieden uns, es ist ein seltsames Gefühl, besonders unser Dolmetscher ist betrübt. Es gibt soviel zu tun, die Menschen waren so froh, endlich reden zu können. Viel zu selten haben sie die Möglichkeit, über ihre Situation zu sprechen und verstanden zu werden.

Wir fahren zurück durch die gewellte Landschaft, das Autobahnschild weist uns den Weg. Was wir mitnehmen, ist die Dankbarkeit für die Offenheit, mit der uns begegnet wird und das schlechte Gewissen, einfach gehen zu können.