Gemeinsame Pressemitteilung des Flüchtlingsrat Thüringen e.V. und der Vernetzung der Thüringer Bündnisse, Initiativen und Netzwerke gegen Rechts
Zur Räumung des Flüchtlingsprotestcamp in München am heutigen Sonntag und zur Situation der Flüchtlinge in Deutschland nach 20 Jahren Asylkompromiss
Sabine Berninger, Harald Zeil, Madeleine Henfling und Uwe Adler erklären: „Aus unserer Sicht wäre in München eine Lösung auf dem Verhandlungsweg möglich und notwendig gewesen. Doch weder die CSU-Regierung noch die SPD-geführte Stadt München waren hier anscheinend zu wirklichen Kompromissen bereit. Es lässt sich immer über Mittel und Wege zur Durchsetzung von Forderungen streiten, aber die Proteste der Flüchtlinge zeigen deutlich: wenn sie zu solchen Mitteln greifen, ist es mehr als schlecht bestellt um ihre Situation in Deutschland.
Während in Thüringen nach hartnäckigen Protesten ganz unterschiedlicher Akteure am morgigen 1. Juli die Residenzpflicht für den Freistaat aufgehoben wird und seit mehreren Monaten fast in allen Thüringer Landkreisen (Ausnahme Greiz und das Weimarer Land) keine Gutscheine mehr ausgereicht werden, hält Bayern an seinem harten Kurs gegenüber Flüchtlingen fest. Ein bitteres Zeichen angesichts des morgigen zwanzigsten Jahrestages der Umsetzung des ,Asylkompromisses‘ von 1993 in Deutschland“, so Madeleine Henfling und Sabine Berninger, Vorstandsmitglieder des Flüchtlingsrats Thüringen e.V.
Am 6. Dezember 1992 einigten sich die Parteispitzen von SPD und CDU nach langen und äußerst schwierigen Debatten im sogenannten „Nikolauskompromiss“ auf die Änderung des Asylgrundrechts im Grundgesetz (GG). Dieser sogenannte „Asylkompromiss“ trat mit einer Änderung des Grund- (GG), als auch des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) 1993 in Kraft. Das deutsche Asylgrundrecht, das im Grundgesetz mit den schlichten Worten „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ formuliert war, wurde durch die Einführung der beiden Konzepte der sicheren Herkunftsstaaten und sicheren Drittstaaten („Drittstaatenregelung“) massiv eingeschränkt.
Am 1. Juli vor zwanzig Jahren wurde der Artikel 16 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz („Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“) ersetzt durch den neuen Artikel 16a Grundgesetz. In der Folge des Asylkompromisses von 1993 kam es zu einer faktischen Abschaffung des
Grundrechtes auf Asyl.
In Politik und Medien war zuvor unter Schlagworten wie „Asylmissbrauch“ massiv eine Einschränkung des Rechts auf Asyl gefordert worden; es kam zu einer regelrechten Stimmungsmache gegen Flüchtlinge. Es folgten unzählige Angriffe und Anschläge auf Asylsuchende und ihre Unterkünfte, auf Migrantinnen und Migranten und ihre Wohnungen bis hin zu mehrtägigen Pogromen und Morden. Die Tatorte Hoyerswerda, Hünxe, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen sind über Deutschland hinaus bekannt geworden. Überwiegend junge TäterInnen fühlten sich offensichtlich im Recht und meinten, Rückhalt in der Bevölkerung zu haben.
Unter Helmut Kohl wurden schließlich 1993 die Änderungen im Grundrecht nach einer der schärfsten Asyldebatten mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD verabschiedet. Die Regierung der BRD ergab sich damit einer unsäglichen Debatte um „Asylmissbrauch“, den Angriff auf Menschen, die in Deutschland Hilfe suchten, und antwortete nicht mit der nötigen Solidarität gegenüber Flüchtlingen und MigrantInnen, sondern bestätigte die rassistischen und rechtsradikalen Forderungen durch die Änderung des Grundrechtes auf Asyl.
Gleichzeitig bildeten und verstärkten sich rechtsradikale Strukturen, bestärkt durch die Entscheidungen der damaligen Bundesregierung. Wie wir heute wissen, brachten diese neonazistischen Strukturen auch den NSU hervor.
„Seit einigen Monaten müssen wir wieder erleben, wie PolitikerInnen demokratischer Parteien, allen voran Innenminister Friedrich, erneut mit dem Vorwurf des Asylmissbrauchs besonders Flüchtlinge aus Serbien, Mazedonien und dem Kosovo unter Generalverdacht stellen. Dabei werden die faktischen Diskriminierungen gegenüber Roma, Askahli und ÄgypterInnen in den Balkanstaaten ausgeblendet“, so Henfling und Berninger weiter.
„Nach der Selbstenttarnung des NSU in Thüringen und in Deutschland wäre eine kritische Betrachtung des eigenen Handelns gerade in der Asylpolitik gefragt. Stattdessen verfallen einige PolitikerInnen in alte Muster und schaffen so erneut den Nährboden für rassistisches Denken und Handeln in der Bevölkerung. Auch in Thüringen drohen gerade den Roma aus dem Balkanstaaten Abschiebungen in einen ungewisse Zukunft“, ergänzen Harald Zeil und Uwe Adler für die Vernetzung der Thüringer Bündnisse, Initiativen und Netzwerke gegen Rechts.
„Angesichts dieser Debatten fordern wir die verantwortlichen PolitikerInnen auf, sich im Zuge der anstehenden Bundestagswahlen ernsthafte Gedanken um eine humane und menschenwürdige Ausrichtung des Asylrechts in Deutschland zu machen, anstatt mit billiger Polemik weiter rassistische Vorurteile zu schüren. Die Auseinandersetzung mit rechtsradikalen und neonazistischen Ideologien und Strukturen in Thüringen und in Deutschland kann nur ernsthaft geführt werden, wenn wir auch dafür sorgen, dass Neonazis ihre Anknüpfungspunkte in die sogenannte Mitte der Gesellschaft und den dort immer noch vorhandenen Alltagsrassismus verlieren. Hier sind PolitikerInnen in der Verantwortung. Insbesondere dann, wenn es um den Schutz von Flüchtlingen und MigrantInnen geht“, so Adler, Berninger, Henfling und Zeil abschließend.