Sogenannte "sichere" Herkunftsländer
Laut dem Grundgesetz kann ein Staat als sicherer Herkunftsstaat bezeichnet werden, wenn aufgrund eines demokratischen Systems, der allgemeinen politischen Verhältnisse sowie der Rechtslage und der Rechtsanwendung gewährleistet erscheint, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung stattfindet.
Das grundsätzliche Konzept der „sicheren“ Herkunftsstaaten wurde im Zuge der Asylrechtsverschärfungen 1993 eingeführt. Asylanträge von Menschen aus den als „sicher“ geltenden Herkunftsländern werden in aller Regel als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. In Deutschland gelten die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie die sechs Westbalkanstaaten Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien als sogenannte sichere Herkunftsstaaten, außerdem auch Ghana und Senegal Wobei die Westbalkanstaaten erst 2014 beziehungsweise 2015 n die Liste aufgenommen wurden. Diese Erweiterungen waren äußerst umstritten und es wurde abermals deutlich, dass die Definition als „sicheres Herkunftsland“ nichts mit der tatsächlichen politischen Realität im Land zu tun haben muss. Die Regelung wird eher als politisches Instrument benutzt, Flüchtlingszahlen aus gewissen Ländern zu begrenzen.
Marokko, Algerien, Tunesien und Georgien – k(l)eine „sicheren“ Herkunftsländer
Bereits mehrmals wollte die Bundesregierung Algerien, Marokko und Tunesien als sogenannte sichere Herkunftsländer einstufen. Anfang des Jahres 2019 sollte neben den drei Maghreb-Staaten auch Georgien als „sicher“ eingestuft werden. Der Bundesrat stimmte diesen Vorhaben allerdings nicht zu. In der Folge arbeitete die Bundesregierung an verschiedenen Konzepten, die Zustimmungspflicht der Bundesländer zu umgehen. So auch an einer Regelung, die grundsätzlich Länder mit unter 5% Anerkennungsquote im Asylverfahren als sicher einstuft (Koalitionsvertrag SPD/CDU-CSU). Das würde bedeuten, dass geringere Anerkennungsquoten des BAMF zu Regelungen führen, welche wiederum die Anerkennungsquoten verringern. Ein Kreislauf und eine Regelung die viele Expert:innen für nicht grundrechtskonform einschätzen. Hinzu kommt die Strategie, weitere Länder nunmehr als „kleine sichere Herkunftsländer“ zu definieren, somit also einen neuen Rechtsbegriff einzuführen, der keine Abstimmung durch den Bundesrat benötigt. Die Rechtsfolgen für Betroffene blieben dabei aber dramatisch gleich.
Menschenrechtsorganisationen warnen vor der Einstufung dieser Länder als „sicher“. In den Maghreb-Staaten können nach wie vor bestimmten Personengruppen wie Homosexuellen, kritischen Journalist:innen und Aktivist:innen politische Verfolgung und Folter drohen. In internen Herkunftsländerleitlinien des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wird über die Verfolgung von Frauen und Homosexuellen, Foltervorwürfe, mangelnde Religionsfreiheit, Menschenhandel und politische Verfolgung berichtet (Quelle: ProAsyl).
Menschenrechtsorganisationen bezeichnen die Einstufung in sogenannte „sichere“ Herkunftsländer als politisches Instrument der Abschreckung. Schutzsuchenden aus diesen Ländern soll deutlich gemacht werden, dass sie hier keine Chance auf Asyl haben. Damit sollen Fluchtbewegungen verringert werden. Allerdings widerspricht die pauschale Unterstellung, Asylsuchende aus diesen Ländern hätten keine Schutzgründe, einer individuellen und sorgfältigen Prüfung des Asylantrags. Die Ausweitung der Liste der sogenannten „sicheren“ Herkunftsländer ohne eine sichtbare Änderung der politischen Situation in diesen Ländern zeigt, dass die Einstufung eine politische Entscheidung ist, die sich kaum an einer menschenrechtlichen Einschätzung orientiert. Für die Betroffenen bedeutet das, Asylanträge nur unter erschwerten Bedingungen stellen zu können (Beweislastumkehr) und in Folge massiven Sanktionen wie etwa Arbeitsverboten ausgesetzt zu sein.
Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter aus dem Kosovo
Die Gesellschaft für bedrohte Völker Schweiz (GfbV) stellte fest, dass die Minderheiten der Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter in Europa keinen Platz zum Bleiben finden.
In den 1990er Jahren flohen Angehörige dieser Minderheiten aus dem Kosovo nach Deutschland und in andere westeuropäische Länder und erhielten dort vorübergehend Schutz. Als sie nach der Jahrtausendwende ihren Schutzstatus in Westeuropa verloren hatten, sollten sie wieder in den Kosovo zurückkehren. Allerdings werden, wie die GfbV feststellt, Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter im Kosovo diskriminiert. Die überwiegende Mehrheit lebt in prekären Verhältnissen und in extremer Armut. Abgeschobene aus Westeuropa sind davon noch stärker betroffen. Ein Leben im Kosovo nach jahrelanger Flucht ist nicht ohne weiteres möglich, da die Integrationspolitik des Kosovo gescheitert ist. Bestehende Strategien und Gesetze zur Integration der Roma, Aschkali und Balkan-Ägypter im Allgemeinen, sowie insbesondere der Rückkehrer:innen, wurden bisher kaum umgesetzt.
Deswegen sind die wenigsten von ihnen nach ihrer Rückkehr im Kosovo geblieben. Sie haben stattdessen versucht, in einem anderen westeuropäischen Land ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sind untergetaucht oder weiter nach Serbien gezogen. Tausende dieser Menschen sind demzufolge in einem andauernden Migrationskreislauf gefangen (Quelle: Gesellschaft für bedrohte Völker).
Die menschenrechtliche Lage in Bosnien-Herzegowina und Serbien
Die Lage in den Westbalkanstaaten ist keinesfalls für alle sicher. Bosnien-Herzegowina verabschiedete 2016 ein Antidiskriminierungsgesetz. Dennoch sind Diskriminierung und gesellschaftliche Ausgrenzung weit verbreitet und betreffen insbesondere Roma sowie Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche (LGBTI) und Menschen mit Behinderungen. In Bosnien-Herzegowina und Serbien beispielsweise stellte die Bundesregierung gewalttätige Übergriffe auf Homosexuelle, jüdische Menschen und Roma fest: Der bosnische Staat sei nicht in der Lage, Minderheiten vor Menschenrechtsverletzungen zu schützen. Diese sind insgesamt so schwerwiegend, dass ihnen Verfolgungscharakter zukommt. Dazu gehören körperliche Misshandlungen von Roma, anderen Minderheiten und ausgegrenzten Gruppen bei polizeilichen Verhören und in Haft. Hinzu kommen fast unlösbare Probleme der Roma beim Zugang zu Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung. Schulen grenzen Roma-Kinder aus, so dass ein Drittel der schulpflichtigen Roma-Kinder keine Schule besucht. (Quellen: ProAsyl | Amnesty International).
Hinzu kommt, dass sich die Lage obdachloser Geflüchteter auf der Balkan-Route weiter zuspitzt. Durch die Schließung bereits überfüllter Aufnahmezentren müssen viele Geflüchtete ohne geregelte Versorgung in wilden Camps leben. (Quelle: Drs. 19/25036)
Stand August 2021