15. Oktober 2013
Familienzusammenführung nur für wohlhabende syrische Familien?

Flüchtlingsrat fordert eine unbürokratische und erfüllbare Regelung zum Nachzug von Familienangehörigen aus Syrien

Anläßlich der bevorstehenden Debatte im Thüringer Landtag zum gemeinsamen Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE begrüßt der Flüchtlingsrat Thüringen e.V. grundsätzlich, dass das Thüringer Innenministerium eine Anordnung zur Aufnahme syrischer Familienangehöriger erlassen hat. Die Anordnung vom 10.09.2013 soll hier lebenden syrischen Staatsangehörigen und Deutschen den Familiennachzug aus dem kriegsgebeutelten Syrien und Anrainerstaaten möglich machen.

Allerdings kritisiert der Verein, dass die derzeitige Regelung eine Einreise von Familienangehörigen nicht erleichtern, sondern überwiegend verhindern wird. Grund hierfür sind die im Vorfeld abzugebenden Verpflichtungserklärungen über Lebensunterhalt, Wohnraum, Kranken- und Pflegeversicherung der hier lebenden Angehörigen. Diese Personen müssen zum einen über so hohe Netto-Einkommen verfügen, dass faktisch der Nachzug von auch nur einem Angehörigen verunmöglicht wird. Zum anderen sind die Erklärungen unbefristet abzugeben. Sollte der Nachzug also im Einzelfall gelingen, hat dies sehr wahrscheinlich eine Verarmung des/ der Aufnehmenden zur Folge.

“Ein humanitärer Ansatz kann nicht allein von finanziellen Verpflichtungserklärungen für den gesamten Lebensunterhalt der Angehörigen abhängig gemacht werden”, so Antje-C. Büchner vom Flüchtlingsrat Thüringen e.V. In diesem Sinne begrüßt der Verein auch den Antrag der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE vom 04.09.2013, der in dieser Woche im Landtag beraten wird. Auch das Abstellen auf die syrische Staatsangehörigkeit führe zur erneuten Diskriminierung der bereits diskriminierten Minderheiten, so Büchner.

Ein weiteres Problem der Aufnahmeanordnung stellt die Frage nach dem Krankenversicherungsschutz dar: die nachgezogenen Familienangehörigen können weder gesetzlichen noch privaten Krankenversicherungsschutz erhalten. Die hier lebenden Angehörigen müssen daher unbefristet für alle anfallenden Krankenbehandlungskosten selbst aufkommen. Diese Kosten sind nicht kalkulierbar und können zum finanziellen Ruin führen. Zudem diskriminiert die Thüringer Anordnung Minderheiten ohne syrische Staatsangehörigkeit, wie bspw. staatenlose KurdInnen aus Syrien, die damit keine Chance erhielten, Angehörige zu sich zu holen.

Hintergrund: Die geplante Aufnahmeregelung soll hierlebenden aufenthaltsberechtigten SyrerInnen ermöglichen, unter Abgabe von Verpflichtungserklärungen Angehörige aus den Kriegsregionen und Flüchtlingslagern in den Nachbarländern einschließlich Ägypten nach Thüringen zu holen. Diese Verpflichtungserklärungen umfassen den gesamten Lebensunterhalt und sind für jede Person einzeln abzugeben. Unter diesen Bedingungen würde ein Familiennachzug nur wohlhabenden Familien gelingen.

Denn laut dem Thüringer Wirtschaftsministerium beträgt der Anteil ausländischer Fach- und Arbeitskräfte an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Thüringen nur 1,6 Prozent, davon ist ein erheblicher Teil im Niedriglohnbereich beschäftigt.

Die in Thüringen bestehende Beschäftigungssituation von MigrantInnen schließt die Gruppe syrischer Flüchtlinge mit ein: weder ist zu erwarten, dass bereits hier lebende Flüchtlinge ein so hohes Einkommen erzielen, dass sie für Lebensunterhalt, Wohnraum sowie Kranken- und Pflegeversicherung für auch nur einen Angehörigen aufkommen könnten. Noch wird die in Aussicht gestellte Arbeitserlaubnis für die Nachreisenden aus bereits genannten Gründen kurzfristig zu einer Integration in den Arbeitsmarkt führen.

Die katastrophale Situation in Syrien und in den Flüchtlingslagern der Anrain-erstaaten verlangt nach schnellen und hindernisfreien Lösungen, den hier lebenden Angehörigen wirklichen Familiennachzug ermöglichen. “Humanität gibt es nicht zum Nulltarif”, so Büchner.

Weitere Forderungen von Pro Asyl und dem Flüchtlingsrat Thüringen e.V.:

  • Europa muss seine Grenzen für Flüchtlinge endlich öffnen! Die europäi-schen Staaten sollten, wie von UN-Flüchtlingskommissar António Guterres gefordert, unbegrenzt syrische Flüchtlinge aufnehmen.
  • Bundesinnenminister Friedrich muss selbst die Initiative für ein wirklich großzügiges EU-Aufnahmeprogramm ergreifen, um Menschen aktiv aus der Region zu holen.
  • Asylsuchende aus Syrien müssen als Flüchtlinge anerkannt werden und ein sicheres Aufenthaltsrecht erhalten.